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Das neue Bildungsprogramm – ein Feedback

Lesezeit: 4 Minuten

Neues Jahr, neue Regierung, neues Programm. Selbstverständlich haben auch wir einen Blick ins Bildungskapitel des neuen Regierungsprogramms riskiert.

Wenngleich man bei vielen Punkten erst dazugehörige Gesetze abwarten muss, ehe man ein wirkliches Urteil fällt, kommen wir nicht umhin in Lehrer*innenmanier schon jetzt die ersten Plus und Minus zu verteilen.

Plus – was uns freut: 

  • Unterstützungspersonal: Das Versprechen auf die Bereitstellung von mehr Supportpersonal an Schulen lässt hoffen. Administrative und vor allem psychosoziale Aufgaben erfordern Energie von Lehrkräften, die sie nicht mit der qualitativ hochwertigen Vor- und Nachbereitung ihres Unterrichts verbringen können. Eine Entlastung ist überfällig.
  • Chancenindex und Fonds für benachteiligte Standorte: Schulen mit besonderen Herausforderungen sollen auch besonders unterstützt werden und ein entsprechendes Pilotprojekt an 100 Schulen ist sogar schon im Programm festgeschrieben. Genau an diesen Schulen sind Kinder, die besondere Unterstützung brauchen. Weil die Qualität der Bildung nicht von den Ressourcen der Eltern abhängen darf, müssen auch genau dort die entsprechenden Ressourcen hinfließen um allen Kindern faire Bildungschancen zu ermöglichen.
  • Quereinstieg und Querumstieg erleichtern: Eine gute Lehrkraft kann man auch sein, wenn man sich erst spät für den Beruf entscheidet und im Gegenzug ist man auch dann noch eine gute Lehrkraft, wenn man nach Jahren im Lehrberuf entscheidet, dass man sich (zumindest zeitweise) umorientieren möchte. Quereinsteiger*innen können Blickwinkel aus der beruflichen Praxis einbringen und damit ein Stück vom “echten Leben” in die Schulen holen und ein rechtzeitiger Ausstieg kann Frust und Burnout verhindern.

Welle – was wir so mittel finden:

~ Mittlere Reife: Vor Ende der 9. Schulstufe soll eine “Mittlere Reife” Basiskompetenzen in Mathe, Deutsch und Englisch überprüfen. Erst dann kann die Schule positiv abgeschlossen werden (Bildungspflicht). Dies fordert eine Ergebnisverantwortung für Lehrkräfte und klare Standards, was gekonnt werden muss. Das ist begrüßenswert. Darüber hinaus entlastet eine externe Prüfung das Lehrer*in-Schüler*in Verhältnis, wodurch Lehrkräfte als echte Lernbegleiter*innen gemeinsam mit ihren Schüler*innen auf ein Ziel hinarbeiten können. Dennoch bleibt abzuwarten, in welcher Form die Mittlere Reife kommt und wie genau sie ausgestaltet wird.

~ Bildungspflicht: Schüler*innen sollen das Schulsystem erst dann verlassen dürfen, wenn sie nachweislich Mindeststandards in den Grundkompetenzen erreicht haben. Diese Bildungspflicht gilt bis zum vollendeten 18 Lebensjahr. Ohne Frage muss das Erreichen gewisser Mindeststandards das Ziel eines funktionierenden Schulsystems sein. Bedenkt man, was das in der praktischen Umsetzung bedeutet, wundert man sich allerdings ein bisschen. Sowohl das 4-5 malige Wiederholen der 4. Klasse scheint wenig sinnvoll, wenn nicht sogar etwas absurd und auch die soziale Zusammensetzung einer Klasse, in der 14 bis 18 Jährige sitzen, kann – gelinde gesagt – die einen oder anderen Schwierigkeiten mit sich bringen.

~ Ausbau ganztägiger Schulen (aber nicht kostenlos): Von ganztägigen Schulen, in denen sich Lern- und Freizeitphasen abwechseln, profitieren vor allem jene Kinder, deren Eltern sie – sei es aufgrund sprachlicher oder zeitlicher Ressourcen -– nicht beim Lernen unterstützen können oder die sich keine externe Nachhilfe leisten können. Mehr ganztägige Schulplätze sind daher erfreulich, aber nur wenn sie kostenlos sind, ermöglichen sie wirklich allen Kindern faire Bildungschancen.

~ Erstsprachenförderung: Kinder können am besten dann eine Zweit- oder Fremdsprache lernen, wenn sie ihre Erstsprache gut beherrschen. Um gut Deutsch lernen zu können, ist es also von Vorteil die Muttersprache gut zu können, was leider bei vielen Kindern, die in unseren Klassen sitzen, nicht der Fall ist. Im Regierungsprogramm steht zwar, dass “Sprachlehrkräfte stärker in den Stammlehrkörper” einbezogen werden sollen, bleibt aber konkretere Aussagen schuldig: Welche Erstsprachen werden gefördert? In welchem Umfang und in welcher Form (integrativ oder sind dafür zusätzliche Stunden vorgesehen)? Wie werden Kinder identifiziert, denen diese Förderung zukommt?

Minus  – was wir nicht gut finden:

– Ethikunterricht: Es soll zwar ein neues Lehramtsstudium “Ethik” entwickelt werden. Dennoch, Ethik bleibt das Fach für jene, die keinen Religionsunterricht besuchen. Wichtig wäre ein verpflichtender Ethikunterricht für alle Kinder, nicht nur für jene, die den konfessionellen Religionsunterricht nicht besuchen. Die vorliegende Maßnahme verfestigt leider den Ethikunterricht als “Ersatzunterricht”.

– Deutschklassen: Die Deutschklassen bleiben. Das Programm sieht “Gestaltungsfreiheit” für die Schulstandorte vor, dennoch bleibt es beim Terminus Deutschklassen. Damit bleibt auch die Segregation von Kindern, die eher miteinander und voneinander, als getrennt lernen sollten. Einziger Lichtblick hier ist, dass in der Aufzählung zu jenen Maßnahmen, die in die Autonomie der Schule kommen sollen, auch “flexiblere Stundenplaneinteilung” steht. Damit könnte es möglich werden, dass Kinder nicht mehr unbedingt 20 Stunden getrennt unterrichtet werden müssen, sondern wieder mehr in “herkömmliche” Klassen integriert werden können.

– Bildungswegentscheidung: Die frühe Trennung in AHS und (N)MS nimmt vielen Kindern viel zu früh die Chance auf eine wirklich faire Bildungslaufbahn. Nun sieht das neue Regierungsprogramm vor, die Entscheidung über die weitere Bildungslaufbahn auch auf Basis einer Kompetenzfeststellung schon am Ende der dritten Klasse Volksschule zu treffen. Das nimmt den Kindern nicht nur ein weiteres Schuljahr, in dem sie lernen und aufholen können, sondern es mutet sogar beinahe wie ein Aufnahmetest für die AHS an.

– Sitzenbleiben und Ziffernnoten: 

Das von Türkis-Blau wieder eingeführte Sitzenbleiben in der Volksschule wird ebenso nicht rückgängig gemacht, wie die Wiedereinführung der Ziffernnoten. Beide Maßnahmen waren Schritte zurück in die Vergangenheit und keine Reformen zur Modernisierung und kindergerechteren Gestaltung unseres Systems. Ziffernnoten sind schon in höheren Schulstufen schlecht dazu geeignet, die Leistung oder den Fortschritt objektiv und fair darzustellen. In der Volksschule sind diese gänzlich ungeeignet.

Was uns fehlt: 

Gemeinsame Schule: Wir sehen es täglich bei unserer Arbeit an der NMS, eine Vielzahl von Expert*innen ist sich einig: Damit endlich nicht mehr die Bildung und der sozioökonmische Status der Eltern die Bildungschancen bestimmen, brauchen wir dringend eine gemeinsame Schule der 10 bis 14 Jährigen, die innerschulisch stark differenziert. Einen Hinweis auf Bemühungen, die uns diesem Ziel auch nur ein kleines Stück näher bringen, haben wir im Bildungskapitel des Regierungsprogramms leider vergeblich gesucht.

Unterrichts- & Arbeitsweise: Starre 50 Minuten Einheiten, auf die Lehrkraft zentrierter Unterricht, stur auswendig lernen, viel zu kleine Arbeitsplätze, kaum Strukturen & Anreize, die Teamwork fördern, keine Karrierechancen für Lehrer*innen. Viele der besten Schulsysteme arbeiten anders als wir. Sowohl in der Klasse, als auch in der Verwaltung & Organisation von Schule. Handfeste Maßnahmen, die die Arbeit an der Schule kindzentrierter und professioneller machen, haben wir leider vergeblich gesucht.

Schule demokratisieren: Lehrkräfte sollen im Unterricht Demokratiebewusstsein, kritisches Hinterfragen und eigenständiges Denken vermitteln. Diese Prozesse können allerdings nicht nur  gelehrt werden, sie müssen gelebt werden. Strukturen wie Klassenräte müssen etabliert, Klassen und Schulsprecher*innenrollen aufgewertet und die Möglichkeit zum Mitreden und Feedback geben geschaffen werden. Es wird Zeit, dass Demokratie in der Schule wirklich gelebt wird. Sowohl in der Lehrer*in-Schüler*in Beziehung, als auch im gesamten Schulsystem und seiner Verwaltung. Dementsprechende konkrete Maßnahmen hätten wir uns vom neuen Programm daher erhofft.

Fazit

Beim Lesen des Bildungskapitels wird schnell klar, dass vieles so klar doch noch nicht zu sein scheint. Viele Formulierungen sind vorsichtig, vage und werden wenig konkret umschrieben. Auch wenn es einige erfreuliche Punkte gibt, scheint es auf den ersten Blick nicht, als habe die türkis-grüne Regierung vor, an den wirklich großen Schrauben im Bildungssystem drehen zu wollen.

“Österreich hat ein gutes und starkes öffentliches Bildungssystem, das für alle offensteht”, heißt es in der Einleitung des Bildungskapitels. Ob die vorgestellten Maßnahmen und Änderungen diesen Satz tatsächlich Realität werden lassen, bleibt abzuwarten.

Verena Hohengasser, Felix Stadler und Simone Peschek

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