Lesezeit: 4 Minuten

Er ist wieder da. Gemischte Gefühle kommen in mir hoch, als ich am Montagmorgen zwei aufgeweckte Augen über der FFP2 Maske blitzen sehe und mir ein freudig schwungvolles „Frau Lehrerin! Guten Morgen!“ entgegengeschmettert wird. Einerseits freue ich mich, einen Schüler wieder zu sehen, der mich oft zum Lachen bringt und bei dem ich weiß, dass ihm das selbstständige Arbeiten im Lockdown schwerfällt, der gezielte Deutschförderung benötigt. Andererseits realisiere ich erst nachdem mir ein freundlich strenges „Schön, dass du wieder da bist! Die Maske haben alle auf und das diskutiere ich nicht“ rausrutscht, dass es mich auch stresst. Alle Kinder werden leise und schauen etwas verwundert drein. Frau Lehrerin, die in der Regel nicht so schnell eisige Töne anschlägt, legt gleich in den ersten 45 Sekunden dieser Schulwoche damit los. 

Was mich nachdenklich macht an meiner Aussage, ist nicht der Hinweis auf die sinnvolle Maske, sondern das Ende meiner Diskussionsfreudigkeit. Die Worte „Ich diskutiere das nicht“ entsprechen nicht gerade meinem Ideal einer Deutschlehrerin. Mir, der Dialog auf Augenhöhe, Demokratieerziehung, Medienverständnis und Diskussionsfähigkeit doch sonst so wichtig sind. 

Der Schüler, über dessen Anwesenheit ich mich eigentlich freue, hadert mit dem Gedanken, dass es Corona wirklich gibt. Seine gesamte Familie ist zwar mittlerweile genesen, aber die Medien würden weltweit Lügen verbreiten und die Maßnahmen seien Teil einer großen Verschwörung, so der immer wieder durchflackernde Grundtenor. Das Tragen der FFP2 Maske also eine Tortur und eine Gemeinheit, um arme Kinder zu quälen. Auch „diese Tests“ werden laufend mit Kommentaren begleitet, die ich hier mit dem sanften Wort der Zumutung umschreiben möchte. 

In der Regel meldet sich auf seine Äußerungen sofort jemand aus der Klasse und es gibt Pro und Kontra, verschiedene Meinungen stehen nebeneinander im Raum. Pragmatisch, wie Schule so oft ist, testen sich schließlich alle nach Vorschrift und lassen die Maske auf. 

Es ist mir wichtig, dass jede Meinung geäußert werden darf, weil ich denke, dass Silencing keine Lösung ist, sondern nur noch mehr Öl ins Feuer gießt und Verschwörungstheoretiker*innen sich vermutlich erst recht in ihrer Perspektive gestärkt fühlen. Dennoch war bei mir an diesem Montagmorgen die Luft schon beim ersten Anblick einer neuen Diskussion draußen. Am Weg zum Klassenzimmer hatte ich mich gefreut, dass wir mittlerweile auch PCR-Tests für Lehrkräfte haben und dass bestätigt wurde, dass die FFP2 Masken sehr gut vor Ansteckung und Übertragung schützen. Ich freute mich über jedes Kind, das mir in Fleisch und Blut gleich gegenübersitzen würde, das ich nicht digital mehr schlecht als recht versuchen würde zu erreichen, parallel mitzubetreuen, auf Distanz individuell zu fördern – für mich gefühlt die Quadratur des Kreises. Ich freute mich auf ein kleines Stückchen Struktur und geregelte Abläufe im Anbetracht der sich überschlagenden Ereignisse der letzten Wochen. Auf Unterricht und Bedürfnisse, auf die ich ad hoc reagieren und wahrnehmen könnte, im Gegensatz zum distance learning. Vielleicht wollte ich mir mit diesem Diskussionsriegel die Freude, das Privileg und den kleinen Triumph über das Virus nicht nehmen lassen, dass es zumindest unter gewissen Voraussetzung möglich ist, Kinder regulär zu unterrichten. 

Schule wird oft als der Ort konstruiert, an dem gesamtgesellschaftliche Konflikte sichtbar seien, weil bis zu einem gewissen Alter jede*r hinmuss, der*die in Österreich wohnt. Müsste ich der gesamtgesellschaftlichen Dialog- und Konfliktkultur der letzten Wochen eine Note geben, wäre es ein knappes Genügend. Müsste ich mir selbst eine geben, verstumme ich lieber mit meinen Urteilen. Die Situation, in der wir uns alle befinden, ist so komplex, so vielschichtig und blöder Weise gleichzeitig so dringend, dass der ruhige, nachvollziehbare Dialog oder ein gründliches, fundiertes Abwägen von Darstellungen oder Maßnahmen viel zu oft auf der Strecke bleibt. Es ist Verunsicherung spürbar: bei den Schüler*innen, den Eltern, den Kolleg*innen, bei mir selbst. 

Ich schätze an meinem Kollegium, dass viele andere Standpunkte stehen lassen können. Wir waren nicht alle einer Meinung, dass es so toll ist, die Kinder doch in die Schule gehen zu lassen, während alles andere zusperrt. Dafür ziehen manche zum ersten Mal seit über 50 Jahren auf Demos mit, die von Polizeihubschraubern begleitet werden und mir wiederum nur ein Kopfschütteln abringen. Trotzdem gehen an einem Dezembermorgen Kolleg*innen mit FFP2 Maske durch das Konferenzzimmer und verteilen Schokolade. Ein Mini-Nikolaus gesellt sich zu meinem sehr geschätzten PCR-Test. Jede*r freut sich über diese kleine Geste der Normalität, das Bekannte, das Verbindende und den Zusammenhalt. 

Obwohl ich eisig sagte, ich wolle nicht darüber diskutieren, ob wir die Maske im Unterricht tragen, verkraften die Kinder das recht gut. Es wird gescherzt, mitgearbeitet und vor allem auf den Adventkalender und unser Keksritual hingewiesen. Das darf ja nicht vergessen werden! 

Die Kinder haben wie so oft recht. Es sind auch diese kleinen Dinge, die uns zusammenbringen und auf die ja nicht vergessen werden darf. Wer an Beziehung und Dialogkultur in guten Zeiten arbeitet, hat sich für die großen Brocken in schweren Zeiten einen Startvorteil verschafft, denke ich. 

Utopisch würden viele meine Vision von Dialogkultur an der Schule bezeichnen. Vermutlich haben sie recht. Schließlich sind wir alle nur Menschen, die jeden Tag unterschiedlich gut drauf sind, umgeben von einer Vielzahl an Faktoren, die ein friedliches Miteinander und gute Kommunikation nun mal stören. Trotzdem finde ich es wichtig, dass wir uns weiterhin bemühen, vielfältige Gedanken, Ängste, Vorstellungen und Pläne zu besprechen und ernst zu nehmen. 

Ich komme zu dem Schluss, dass manche Themen und Diskussionen besondere Zeitpunkte und Orte brauchen und nicht „sofort montags um 7:31“ stattfinden müssen. Dankbar bin ich aber auch dafür, dass wir es jeden Tag besser machen können. Jeden Tag gibt es die Chance aus dem gestrigen für den morgigen zu lernen und um’s Lernen geht es doch schließlich an der Schule. 

Die Autorin ist Lehrerin an einer Mittelschule in Oberösterreich

Lesezeit: 4 Minuten

Über politische Bildung und Partizipation

Politische Bildung und Partizipation sind die Eckpfeiler unserer demokratischen Gesellschaft und entsprechend dem Grunderlass von 2015 eines verpflichtenden Unterrichtsprinzipien an allen Schulen Österreichs. Lebendige Partizipation von Schüler*innen und praxisnahe Demokratieerziehung hängt stark vom Mitwirken motivierter Schulsprecher*innen, Direktionen, Lehrer*innen sowie außerschulischen Partner*innen ab (aus SMG Schüler*innenMitgestaltung).

Wie alles begann

Seit mehr als 10 Jahren organisiere ich die Wahl der Schulsprecher*innen. Dass ich damit Vertrauenslehrerin bin, habe ich ein paar Jahre danach bei einem Workshop erfahren. Auch, dass die Wahl der Schulsprecher*innen nicht so ein Ding ist, das man mal eben schnell in einer halben Stunde in der Bibliothek abhandelt. Tatsächlich war es zu Beginn so, dass ich die Klassensprecher*innen in der Bibliothek versammelt habe. Dann mal schnell nachgefragt, wer denn Lust hätte Schulsprecher*in zu sein. Damit war das Thema ein Jahr vom Tisch. Gefallen hat mir dieser Weg gar nicht, denn er signalisierte allen Beteiligten, dass das Amt des/des Schulsprechers/ der Schulsprecherin irgendwas zwischen muss so sein und eh nix war. Ich habe in diesem Workshop erfahren, dass es Schulen gibt, die eine richtige, eine echte Wahl abhalten. Eine, die demokratischen Charakter hat. So machen wir das, habe ich mir damals fest vorgenommen.

Macht doch alles keinen Sinn

Einen Tag lang gehe ich von Klasse zu Klasse und bin auf der Suche nach Kandidat*innen. Kein leichtes Unterfangen, weil selbst mit Anklopfen und der Beteuerung meinerseits, dass ich nicht stören will, die Begeisterung meiner Kolleg*innen für die erfolgte Unterbrechung des Unterrichts sich in Grenzen hält. Es bleibt mir zu diesem Zeitpunkt aber fast nichts anderes übrig, weil nicht alle meinen Aufruf, den ich via Schoolfox getätigt habe, gelesen haben. Es sind jene, die ein bisserl grantig reagieren, wenn ich die Mathematik- oder Geographiestunde unterbreche. 

Die Begeisterung der Schüler*innen hält sich in Grenzen. In manchen Klassen schaffen sie es nicht einmal mir ins Gesicht zu gucken. Andere hören mir gar nicht zu. Könnte es sein, dass diese Kinder und Jugendliche längst begriffen haben, dass sie ohnehin keine Stimme haben? „Macht doch alles keinen Sinn“, erklärt mir eine Schülerin. In einer anderen Klasse spreche ich eine Schülerin gezielt an, weil ich sie gut kenne und mir denke, das wäre doch was für sie. Sie lacht und sagt: „Nein, sicher nicht!“ Eine Entscheidung, die ich akzeptiere. Eher verstörend finde ich an dieser Stelle, dass die Kollegin das allem Anschein nach auch wahnsinnig lustig findet, süffisant grinst und lacht. Und damit meines Erachtens der Schülerin bestätigt, dass Wahlen wie diese ein sinnlos sind. Vielleicht irre ich mich..

Allen widrigen Umständen zum Trotz finde ich fünf Kandidatinnen. Sie alle eint, dass sie weiblich und Schüler*innen der dritten Klassen sind. Ein bisserl jung, denke ich mir, aber letztendlich gibt es für Demokratie kein Mindestalter.

Was machen eigentlich Schulsprecher*innen?

Diese Frage poppt immer wieder auf. Antworten darauf habe ich, auch wenn es mir schwerfällt, diese glaubhaft an die Schüler*innen weiterzugeben. Denn alle haben die Erfahrung, dass Klassensprecher*innen auch nicht viel Stimme haben. Dass Schüler*innen im Betrieb Schule ganz allgemein nicht oder viel zu wenig gehört werden. Und dass sie als Schüler*innen einer Mittelschule kaum gesehen werden. Weil, wie zwar eingangs erwähnt, die Schule Demokratieverständnis vermitteln soll, das aber gar nicht wirklich kann, weil Schule keine demokratische Institution ist. Weil das Wohl der Schüler*innen eben nicht an erster Stelle steht. Weil der größte Teil des Schullalltags aus „Lehrer*in sagt, Schüler*in führt aus“, besteht. Weil die Wünsche der Schüler*innen kein Gewicht haben.

„Was wollt ihr denn machen?“, lautet meine Gegenfrage. Schweigen. Dann flüstert Sarah: „Einen Schulball.“ Dieser Wunsch begleitet mich seit Beginn meiner Tätigkeit als Vertrauenslehrerin. Einmal haben wir es geschafft. Es war nicht das, was sich die Schüler*innen erträumt hatten, aber zumindest ein bisschen was von schönen Kleidern, tanzen und Spaß war dabei. Dann kam Corona, aber letztendlich scheitert dieser innig gehegte Wunsch nicht an der Pandemie, sondern an anderen Hürden. Der Lerneffekt der vergangenen Jahre ist augenscheinlich. Wünschen können wir uns viel, denken die meisten Schüler*innen, aber gehört werden wir nicht. 

Schüler*innenausweis, Urne und Wahlkabine

Wählen darf nur, wer einen Schülerausweis hat. Hat leider nicht jedes Kind, weil verloren oder zu heiß gewaschen.  Einen neuen gibt es erst nach Vorlage einer Verlustbestätigung, also dann eben keinen. Spannend ist der Wahlprozess an sich in jedem Fall. Mir fällt auf, dass die jüngeren Schüler*innen sich vor dem Gang in die Wahlkabine nochmals genau informieren. Wer ist jetzt wieder wer? „Sarah ist die Schönste. Die wähle ich“, erklärt mir ein Kind einer ersten Klasse. „Nein, ich habe die andere gewählt, weil die hat keinen Style“, hält ein anderes Mädchen dagegen. Emirhan, ein Schüler einer vierten Klasse, schließt die Augen und tippt blind auf das Plakat der Kandidatinnen. Seine Wahl fällt auf Irina. „Ist ja eh wurscht“, höre ich schon wieder.

Klar, die fünf Schülerinnen durften sich in den Klassen vorstellen. Nicht zu lange, weil sie den Unterricht nicht stören sollen. Und weil sie selbst nicht zu viel versäumen sollen. Weil zusammengefasst, jede Englisch-, Deutsch- oder Mathematikstunde wichtiger zu sein scheint als eine demokratische Wahl in der Schule.

Ich weiß aber von anderen Schulen, dass die Vorstellung der Kandidat*innen in einer Aula stattfindet. Dort müssen die Anwärter*innen auf das Amt ihr Programm präsentieren, ihre Linie und ihre Wünsche und Anliegen. Da gibt es Zeit für Demokratie. Da wird Kindern und Jugendlichen aktive Teilnahme an Demokratie zugetraut.

Wie geht es weiter?

Die Wahl ist vorbei. Sarah und Michelle haben gewonnen. Im November dürfen sie ihre allererste Klassensprecher*innensitzung mit meiner Unterstützung abhalten. Vertrauenslehrerin zu sein, bedeutet für mich, dass all das, was in diesem Rahmen besprochen wird, nur dann nach außen dringt, wenn es die Beteiligten wollen. Was mein Anliegen ist? Demokratie üben, Kindern und Jugendlichen eine Stimme geben und hoffen, dass sie auch gehört werden. Kindern und Jugendlichen Demokratiebewusstsein und demokratische Prozesse zutrauen, denn viele von ihnen dürfen schon in paar Jahren mit ihrer Stimme unser aller Demokratie mitgestalten.

Die Autorin ist Lehrerin an einer Wiener Mittelschule.

Lesezeit: 3 Minuten

Zugegeben, die Abneigung gegen Elternsprechtage oder Elterngespräche nimmt mit den Jahren, die viele Lehrer*innen unterrichten, direkt proportional zu. Für alle Nicht-Mathematiker*innen: Je mehr Dienstjahre, desto weniger Lust auf die herkömmliche Elternarbeit. Das liegt in keinem Fall an den Eltern der Schüler*innen, sondern viel mehr daran, wie diese Gespräche ablaufen. Eltern, die sich, ob unterschiedlicher Barrieren defizitär fühlen, treten zum halbjährlichen Rapport an. 

Die Barrieren

Gerne werden diese Barrieren ausschließlich am sprachlichen Unvermögen in der Landessprache festgemacht. Es könnte, so hören wir es immer wieder, alles so einfach sein, würden die Erziehungsberechtigten gut genug Deutsch sprechen.  Ist dem tatsächlich so? 

Die gute Nachricht: Dieses Problem kann seit kurzer Zeit sehr leicht gelöst werden. Das Zauberwort heißt Videodolmetscher*innen.

Seit knapp einem Monat fördert die Stadt Wien an unserer Schule die Möglichkeit, zu Elterngesprächen professionelle Dolmetscher*innen per Livestream hinzuzuschalten. In 61 Sprachen kann konversiert werden, 13 davon sind ad hoc, also ohne jegliche Anmeldung verfügbar. Es ist ein wahres Aha-Erlebnis, mit den Eltern hier endlich auf Augen – oder eher Mundhöhe zu sprechen. Geschichten, Details, Informationen, Hintergründe sprudeln bald aus ihnen heraus und relevante Informationen (Gab es vorher überhaupt einen Schulbesuch?, Hatte das Kind schon immer Schwierigkeiten beim Rechnen? Steht gerade ein Umzug an?), die man sonst jahrelang nicht wusste und welche doch oft so relevant für die Förderung der Kinder sind, kommen plötzlich ans Tageslicht. Elterngespräche, die sonst häufig nur wenige Minuten dauerten, da das Unbehagen auf beiden Seiten groß war: Versteht er/sie mich? Verstehe ich sie/ihn richtig? Sage ich was Falsches? Was passiert, wenn ich etwas nicht verstanden habe? Wie oft darf ich nachfragen?

Diese Zeiten sind zum Glück vorbei und eine große Hürde wurde uns genommen, eine große Hilfe angeboten. Es erleichtert unsere Arbeit ungemein und wir sind wieder einen Schritt weiter in Richtung Fortschritt gewandert.

Tatsächlich gibt es aber noch weitere Hindernisse für ein gleichwürdiges Miteinander außerhalb der sprachlichen Diskrepanzen.

Gespräch unter Expert*innen

Wir sind der Überzeugung, dass es an viel mehr Dingen scheitert als ausschließlich an der Sprache. So entsteht im Umgang mit den Eltern zeitweise der Eindruck, Kolleg*innen würden nicht unterscheiden können, wen sie vor sich haben. Erwachsene, mündige Menschen werden zu gerne wie ihr Nachwuchs behandelt. Deutlich wird in derart geführten Gesprächen der Status-Unterschied demonstriert. „Ich bin die Lehrperson und werde wohl am besten wissen, wie ich mit meinen Schüler*innen umgehe“. Aus den Augen verloren wird, dass nicht nur Lehrer*innen, sondern auch Eltern Expert*innen für das betreffende Kind sind. In Wahrheit treffen zwei unterschiedliche Expert*innen an einem Tisch zusammen. Das wäre doch die perfekte Ausgangssituation für Auseinandersetzungen in Gleichwürdigkeit. Jede/r kann sein/ihr Wissen ins Spiel bringen, gemeinsam können Lösungen zum gelingenden Arbeiten gefunden werden.

Schwierige Eltern

Ja, auch Eltern können unangenehm sein, das steht außer Zweifel. Aber es würde sich auch in diesem Fall lohnen, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Viele Erziehungsberechtigte der Mittelschulkinder haben, wie ihre Kinder, auch „nur“ die Hauptschule bzw. die Mittelschule besucht. Sie haben schon am eigenen Leib erfahren, wie es sich anfühlt, eine Schule zu besuchen, deren Ansehen gesellschaftlich nicht das beste war. Sie selbst haben oft schlechte Erfahrungen mit Lehrer*innen gemacht. Und manche waren so mies, dass sie nicht vergessen werden konnten. Ungleichwürdige Situationen triggern ganz schnell frühere Erlebnisse. Und selbst wenn man erwachsen ist, im Namen des Kindes hier ist, passiert es dennoch, dass man eben nicht erwachsen reagiert. Selbst auf die Gefahr hin, dass ein nicht gelungener Auftritt in der Institution Schule dem eigenen Kind sehr schaden kann. Sippenhaftung heißt das und trägt nur zu weiteren Gräben in der Eltern-Lehrer*innen-Beziehung bei.

Die falsche Reflexionskultur

Ein anderer Fakt ist, dass Eltern und Erziehungsberechtigte oft nur dann in die Schule geholt werden, wenn ein Problem aufpoppt, für deren Behebung jetzt mal die Eltern zur Verantwortung gezogen werden müssen. Wenn alles gut läuft, dann suchen Lehrer*innen nur in seltenen Fällen den Kontakt zu den Eltern. Wenige sind bisher dazu übergegangen zum Beispiel auch positives Verhalten ins Elternheft zu schreiben. „Stimmt, es heißt bei mir nicht Mitteilungs- sondern Elternheft. Ich weiß noch sehr genau, dass meine Schüler*innen zu Beginn sehr verwundert waren, wenn ich sie auf diese Art lobte. Noch erstaunter waren die Empfänger*innen der frohen Botschaften. So gab es einmal den Vater einer Schülerin, der sich bei mir telefonisch versichern wollte, ob die Nachricht eh nicht gefälscht wäre“, berichtet eine Lehrerin, und genau anhand dieser Anekdote lässt sich sehr schön aufzeigen, wie ungewohnt positive Rückmeldungen sind.

Eltern-Cafés?

Eine Möglichkeit wäre Eltern-Cafés, die ein Mal im Monat stattfinden. So könnten wir Räume für den Austausch schaffen, für eine positive Reflexionskultur.  Erziehungsberechtigte hätten im Rahmen dieser Veranstaltungen die Möglichkeit eines Austausches auf Augenhöhe, ohne Angst oder Unterlegenheitsgefühl. Ein Ort, den man besuchen kann, aber nicht muss. Das Sprichwort Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen, hält sich nicht von ungefähr seit Jahrzehnten. Zusammen, auf Augenhöhe, voll involviert. Das sind die Schlagworte der Elternarbeit. Und das Argument der fehlenden Sprache ist – Technik sei Dank – nun endlich keine Ausrede mehr!

Die Autorinnen sind Lehrerinnen an einer Mittelschule in Wien.

Lesezeit: 4 Minuten

Ist doch eh schon voll normal!

Das ist ja schon voll selbstverständlich!

Was? Diskriminierung findet überhaupt noch statt?

Ich kann nicht glauben, dass das immer noch so ist….

Tja, und das ist absolute Realität an nicht nur einer „offenen“ Wiener Mittelschule.

Viele werden wahrscheinlich keine Regenbogenflagge aufhängen.. außer sie können die Direktionen noch überreden … warum? Das versteht niemand!

5-10% der Bevölkerung ist LGBTIQA*, das sind bei einem Kollegium von 30 Lehrer*innen 2-3 Personen, bei 300 Schüler*innen 15-30 Kinder. Es ist ein Thema, welches man nicht wegdenken kann, nicht ignorieren und schon gar nicht verhindern.

Wie wichtig sind Role-Models und/oder Identifikationspotentiale an Schulen?

Es ist ein wunderbares Zeichen, wenn die Regenbogenfahne aus der Schule raushängt, keine Frage, aber – war es das dann auch schon? Was ist unsere Aufgabe in Sachen Wertevermittlung, Schaffung von Toleranz, Akzeptanz und Respekt?

Das ist doch nur eine Flagge mit a paar unterschiedlichen Farben.“ Nein. Das bedeutet so viel mehr. Das bedeutet Sichtbarkeit für eine Menge von Menschen, die nicht dem wunderschönen Idealbild von heterosexuell und cis entsprechen, sondern mitunter vielfältiger und bunter sind – nämlich Teil der LGBTIQA* Community. Dass diese Community so akzeptiert und respektiert ist, wie sie es sein sollte, ist leider noch lange nicht so und umso wichtiger ist es, ein Zeichen zu setzen – ein Zeichen von Respekt, Toleranz, Akzeptanz und eigentlich von … Selbstverständlichkeit, dass wir alle so sein dürfen wie wir sind und lieben dürfen wen wir wollen.

Um Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit zu geben sich zu entdecken, ihre Identität zu erforschen und zu verstehen, was eigentlich alles möglich ist – brauchen Kinder Vorbilder. Vorbilder, die hinter ihnen stehen, wenn sie ein offenes Ohr brauchen, und Vorbilder, die selbst aufgrund ihres Aussehens schon das klassische Bild einer Frau bzw. eines Mannes zu durchbrechen.

Erst wenn sie Bilder, die sie aus dem Internet kennen, insbesondere durch Plattformen wie Instagram oder TikTok, auch im realen Leben wiederfinden, sehen sie eine Möglichkeit und Chance, sich auch frei zu entfalten. Anfangs ist es oftmals nur eine Fantasie und man fühlt sich zu dem, was man im Internet sieht, hingezogen, kann aber oft nichts damit anfangen. Insbesondere Kinder, die mitunter unter ihren Peers niemanden finden, mit denen sie ihre Gedanken teilen können und diese deshalb verdrängen und versuchen wegzustoßen. Will ich anders sein? Traue ich mich anders zu sein? Vermutlich nicht…

Hilft es mir, jemanden zu sehen, der auch anders ist? Finde ich diese Person, oftmals sogar unausgesprochen, auch nur durch gegenseitiges Angrinsen à la wir wissen voneinander dass wir beide anders sind, kann alleine diese Tatsache helfen: zu wissen, da ist noch jemand anders.

In meiner Schulzeit hat es diese Person leider nicht gegeben. Ich hätte mir gewünscht, eine Lehrkraft zu haben, die ebenfalls nicht in das klassische Bild einer Frau passt, um so zu sehen, dass mein Drang anders zu sein okay ist und ich nicht alleine bin. Damals, zu meiner Schulzeit, hat die Schule für mich nur aus Schulfreund*innen und Hoffreund*innen bestanden. Der Radius war sehr begrenzt und in diesem Falle niemanden zu haben, dem man ähnlich ist, ist durchaus eine Herausforderung.

Sichtbarkeit an der Schule

Es ist immens wichtig, dieses „fremde“ und „komische“ an Wiens Schulen zu bringen, um es greifbarer zu machen und den Schüler*innen eine Möglichkeit zu geben, mit Menschen, die anders wirken, eine Beziehung herzustellen.

Ich kann mich gut an meinen ersten Schultag als Lehrkraft erinnern. Ich habe mich extra eher femininer gekleidet, um ja nicht gleich aufzufallen. Lieber ins Schema passen und nur nicht auffallen. Wer weiß, was diese Kinder fragen werden?

Mehr und mehr, über die Monate, habe ich mit den Kids eine Beziehung aufgebaut und konnte mehr und mehr sein, wer ich eigentlich bin: zurück zu meinem wahren Ich, weniger feminin kleiden und kurze Haare haben. Viele Schüler*innen meinten „Ich dachte, Sie wären ein Mann!“ – hat man aber mal eine Beziehung aufgebaut, kann man dies mit den Schüler*innen sehr gut thematisieren und klassische Bilder etwas in Frage stellen. Selbst der Kleidungsstil wird thematisiert. Sie finden kein Rosa an mir, sie finden keine Blumen an mir und sie werden keinen Schmuck finden, außer schwarze Ohrringe. Das ist für die Schüler*innen ungewöhnlich. Wir thematisieren es – wir machen kein Tabuthema daraus, sondern wir gehen dieses Thema Schritt für Schritt an und hinterfragen, was wir davon halten, wenn jemand anders ist. Gefällt uns das? Nein? Können wir es dennoch akzeptieren?

Aber dennoch entscheiden viele Direktor*innen, dass sie diese Flagge eher nicht aufhängen wollen. An einer offenen Wiener Mittelschule? Wie bitte? Ist das denn dann eigentlich ein sicherer Arbeitsplatz für mich bzw. ein sicheres Umfeld für so viele Schüler*innen? Welche Werte werden hier vermittelt? Die, die viele Menschen ausgrenzen und ihnen nicht das Symbol von Vielfalt, Diversität und Akzeptanz zeigt, das sie sich endlich verdienen, ohne dass es je in Frage gestellt wird.

Nicht nur, dass es konservativer und engstirniger nicht mehr geht, müssen wir uns fragen, was setzen wir uns als Ziel? Wie wollen wir denn, dass die Schüler*innen aus der Schule gehen? Offen, tolerant und respektvoll? Mit Weitblick? Aber nur in den Aspekten, die uns reinpassen… sprich: lernt Deutsch, seid offen, aber nur nicht zu offen!

Ich kann es nicht fassen, dass wir immer noch diskutieren müssen, ob wir eine Regenbogenflagge aus der Schule hängen, wieso darf das überhaupt zur Frage stehen?

Liegt es an der Partei? Geht es darum? Interessiert es einen 10-jährigen, der sich eventuell als schwul outet, ob der Direktor oder die Direktorin Teil einer gewissen politischen Partei ist und eventuell deshalb das Flaggerl nicht raushängen will? NEIN. Die Schüler*innen wissen nur, dass ihre Schule sie in dem Sinne nicht unterstützt und das so wichtige Symbol von Vielfalt, Toleranz und Akzeptanz nicht zeigt. Wie traurig ist das… als ob es nicht eh schon schwer genug ist, sich 2390324 Mal im Leben zu outen und mitunter nicht von jeder Seite Unterstützung zu bekommen, positioniert sich auch noch die Schule gegen einen, wo man jeden Tag ein und aus gehen muss. Danke, dass wir so mit unseren Schüler*innen umgehen und sie „so schätzen wie sie sind“. Die ganzen klassischen faden Aussagen à la „schön, dass wir alle unterschiedlich sind aber wir sind alle gut so wie wir sind“ können wir uns langsam schon am Bauch klatschen… es wird Zeit vom langwierigen Reden ins Tun zu kommen und Action zu zeigen. Langsam ist es mehr als nur mehr unglaublich.

Die Autorin ist Lehrerin an einer Mittelschule in Wien.

Lesezeit: 7 Minuten

Anmerkung: Bei den Schreibarbeiten zu diesem Text kam niemand zu Schaden. So soll es auch beim Lesen sein. Ein etwas anderer Blickwinkel kann aber derzeit nicht schaden. Wenn sich jemand gekränkt fühlen sollte, dann bittet der Autor vorbeugend, nicht nachtragend zu sein, denn dies ist keineswegs die Absicht des Textes.

Der ewige Lockdown

Nun befinden wir uns gefühlt in einem sich selbst ewig verlängernden Lockdown, der nicht wenige bereits in ein Down lockte. Die Maßnahmen sollen noch härter werden. More of the same. Wir werden sehen. Vielleicht wird’s ja noch ein Stopp and Go. Wenn dann die Frisörläden hoffentlich Sommer 2047 wieder dauerhaft ihre Pforten öffnen, benötige ich dringend einen Locken-down, denn die ewigen Corona-Dauerwellen spiegeln sich derweil in meiner Coronafrisur wider, die gerade noch für das Home Office geeignet zu sein scheint. Ich überlege mittlerweile, ob ich nicht das Feature „Mein Erscheinungsbild retuschieren“ aktiviere.
Mein Bart ist auch brav rasiert, die FFP2-Maske fordert Tribut. Vorher sah ich einem Mann ähnlich, jetzt mit der Maske eher einer um Luft ringenden, gerade aufgetauchten Ente. Ich hoffe, meine Schüler*innen erkennen mich wieder, wenn ich sie in der Schule irgendwann treffe.
Ich watschle mit meinem Lockdown-Gewicht und Locken-Gesicht zum Spiegel, überlege mit einer Mischung aus Amüsement und schleichendem Stechschmerz ob des Anblickes folgendes Gedankenexperiment:

Unser Land als Schulklasse

Wie wäre es, wenn wir unser Land mal als Schulklasse betrachten würden? Eine Schulklasse, die unsere Gesellschaft widerspiegelt. Alle Altersstufen, Geschlechter, Religionen usw. kommen ihn ihr vor. Die Regierung: Das wären dann die Pädagog*innen und die Klassenlehrer*innen. Die Schulleitung repräsentiert übergeordnete Stellen. Nun kann ich mich noch sehr gut erinnern, dass ich bei meiner Ausbildung zum Pädagogen unzählige Male lernte, dass Angst – und Schuldpädagogik einer grauen Vergangenheit angehören würden. Differenzierung wäre das Maß der Dinge und eine neue Fehlerkultur wäre neben positiver Motivation Teil des pädagogischen Lern- und Erfolgskonzeptes. In dieser pädagogischen Ausrichtung wären unsere Kinder und Jugendlichen Hoffnungsträger, junge Menschen, die als mündige Bürger in eine freie Demokratie begleitet werden sollten. Alles andere würde zu einem negativen Lernklima führen und das Lernpotential wäre gehemmt. Nun, wie sieht es derzeit aus? Haben wir diese „Lehrer mit Klasse“ im doppelten Sinne?

Die großen Werte in Zeiten von Corona

Um gleich auf den Punkt zu kommen, ich beobachte Folgendes: Diese großen Werte wurden mit der Corona-Krise über Bord geworfen bzw. umgedeutet. Alte Werte sind das neue Maß. Das Kind wurde nicht nur sprichwörtlich, sondern buchstäblich mit dem Bade ausgeschüttet. Gleich zu Beginn der Krise fand sich das spektakuläre interne Strategiepapier der deutschen Regierung. Wenn wir bei unserem Vergleich bleiben, dann wäre dieses wie der neue „pädagogische Maßnahmenkatalog“ des fiktiven Bildungsministeriums für unsere Schulklasse. Nun, was findet sich in diesem? Unter 4a werden „Worst-case-Szenarien“ als Mittel der Wahl empfohlen. Qualvoller Erstickungstod, arbeiten mit Urängsten, Schuld am Tod der Großeltern usw. werden als pädagogische Schock-Maßnahmen in diesem staatlichen Lehrplan beworben. Das Papier ist eigentlich eine verdeckte Wegkarte zum Traumatherapeuten der Wahl. Diese neuen Richtlinien spiegeln sich in den Unterrichtsmedien wider, die die Schüler*innen, also wir alle, konsumieren.
Die medialen Beiträge richten nach unten, statt aufzurichten. Und das stündlich, täglich – seit Monaten.

Die neue Expertokratie

Expert*innen werden zu Rate gezogen. So viel, dass wir von einer Expertokratie der ewig selben Expert*innen sprechen können. Gut, die Lage ist prekär. Die Schule kennt diese Vorgehensweise mit Expertisen nur allzu gut, besonders dann, wenn Expert*innen ihre Einschätzung aus Elfenbeintürmen verkünden. Diese sprechen nun aber keine tröstlichen Worte, sondern Monate hindurch wiederkehrende drostliche. Und natürlich irgendwie weltfremde. Eine einzige tröstliche Botschaft in all den Monaten? Fehlanzeige. Ausschließlich drostliche.
Ich merke meine Sehnsucht nach positiven, differenzierten Beiträgen, nach denen ich mich recke und strecke. „Bist du noch bei Drosten, Gates noch?“, muss ich mir daraufhin von empörten Mitbürger*innen anhören. In der Klasse herrscht ausschließlich Frontalunterricht. Keine Differenzierungsmaßnahmen mehr. Klassenfahrten, Praktika, Sprachreisen, Schullandwochen usw. werden gestrichen. Andere Klassen dürfen nur in Ausnahmefällen besucht werden. Besonders über die Schwedenklasse lästert man. Die Klassenkassa dünnt langsam aus. Der Kompetenzkatalog wird gerade noch abgehakt. Immerhin sollen wir noch funktionieren.

Ab nach Hause!

Aufgrund der Gefahr für die älteren und vorbelasteten Schüler*innen werden nun alle Schüler*innen nach Hause geschickt. Fernlernen ist angesagt. Eine ältere Klassenkollegin meint: „Warum bleiben die Jüngeren nicht hier? Ich hab nichts davon, wenn die auch alle nach Hause müssen. Außerdem fehlt dann Geld in der Klassenkassa.“ Ihre Wortspende wird als unsolidarisch und zu wirtschaftsfreundlich abgeurteilt. Jeff, der mittlerweile die Schulbücherei und vieles mehr übernommen hat, lächelt, während er seine Bezos zählt. In die Klassenkassa zahlt er nichts ein. Wenn wir zu Hause brav sind, dann kommt auch das Christkind und später der Osterhase, wird uns erklärt. In Österreich werden sogar Babyelefanten zum Abstandhalten verschenkt. Später gilt der Bildungsminister als genormtes Abstandsmaß. Ein „Faßmann“ ist dann gleich so viel wie zwei Meter. Zwei Meter Abstand? Echt? Ich genehmige mir einen Flachmann.

Testen, testen, testen!

Weiterhin lernen alle dasselbe. Differenzierung zählt nun als unsolidarisch, das „Über- einen- Kamm-scheren“ als die neue Solidarität. Wer besonders heftig Angst verspürt, gilt ab jetzt als empathisch und wird hervorragend benotet. Generell dominiert nun, was in der Schule schon seit einigen Jahren gelebte Praxis ist: testen, testen und nochmals testen. Flächendeckend. Nach PISA nun der PCR-Test. Nach OECD nun WHO. Klassenrankings werden auf Dashboards im Dauertakt in den leitenden Unterrichtsmedien veröffentlicht. Die Tests sind teuer, die Stäbchen der neue Maßstab.

Umkehrung der Werte

Negativ gilt plötzlich als positiv. Die alten Werte sind die neuen. Die ehemals hinten rechts Sitzenden kämpfen zur Überraschung der Freiheitsliebenden aggressiv für Grund- und Präsenzrechte. Die Kritischen, die früher gerne friedlich links vorne neben dem offenen Fenster saßen, müssen in Zukunft auch bei denen hinten rechts sitzen, meinen die Lehrer*innen. Moralisch sich upgradende Denker lesen nun ausschließlich Leitmedien. Die Welt ist kehrvert. „Sie sind mit Abstand die beste Klasse!“, läuft als Werbeslogan über die Bildschirme. Vor einem Jahr wäre diese Aussage noch positiv konnotiert gewesen. Jetzt isoliert uns diese Botschaft. Noch dazu kein Singen, Tanzen, Umarmen, laut Lachen, Feiern. Ein „Aerosolemio“ – und schon schwingen sich die Aeorosole zu einem Tröpfchencluster hoch.

Ökonomisierung der Schule

 „Wir sollten das lehren, was uns von Robotern unterscheidet“, hatte Jack Ma einmal gemeint, als er noch seine Meinung sagen durfte, ohne untertauchen zu müssen. Oder untergetaucht zu werden… Die Klasse, ja die ganze Schule wird ökonomisiert. Neue Leute geben den Ton an, wie die personifizierte Daueralarmglocke von Charité. Oder Bill, der neue Freund, der große Bruder und reiche Onkel. Er kennt sich bei Viren aus. Durch sie lassen sich nach Resets immer wieder neue, beherrschende Betriebssysteme verkaufen und implementieren. „Kann man Freunde kaufen?“, will jemand beim Fernlernen über Teams wissen, das irgendwie auch zu Bill gehört. „Nein, keine echten. Aber dafür der Titel Menschenfreund.“ „Kann man sich dann noch in den Spiegel schauen?“ „Oja, für 2,5 Millionen Dollar. Kein Problem.

Wir sind zu Virenträgern geworden, potentielle Gefährder

Die Jüngsten unter uns mutierten sogar vom Hoffnungs- zum Virenträger. Sie leiden, meist stumm. Selten an der Krankheit, oftmals an der Angst, Schuld und Einsamkeit. Sie tragen den Lockdown mit. Und sie tragen die Gesundheits-, die Schulden- und die Umweltlast. Zumindest in der Zukunft. Hoffentlich sind sie dann nicht nachtragend. Vorbeugend werden sie jedenfalls zuhause gelassen, viel zu viele finden sich jetzt in einem psychischen Knockdown wieder. Die Schulpsychologie muss immer wieder triagieren. Wie das Verlassen des Beichtstuhls empfinden einige das Gefühl nach einem negativen Corona-Test. Negativ ist gleichbedeutend mit einem sündenlosen Körper. Sind Virologen auch mutiert – zu unseren neuen Hohepriestern im weißen Kittel in heiligen Laboren, das patentierte Orakel namens PCR-Test befragend? „Wenn ich das Orakel mehr als dreißig Mal befrage, erhalte ich ziemlich sicher eine positive Antwort“, erklärt Robert, der gerade seine eigene Suppe in seinem Labor kocht.

Die Fehler-Politik

Stündlich erfahren wir, welche meist älteren Klassenkollegen wieder verstorben sind. Es ist sehr traurig. Das Durchschnittsalter beträgt über 80 Jahre, aber natürlich sterben manchmal auch Jüngere. Wir konzentrieren uns im Unterricht auf Todesfälle und Erkrankungen. Es ist beängstigend. Ich weiß noch, wie vor Jahren an den Schulen begonnen wurde, bei Tests die korrekten Ergebnisse zuerst auszuweisen, danach die Fehler. Unsere Corona-Lehrer*innen aber wurden von der Direktorin mit einem säuerlichen Lächeln angewiesen, ausschließlich die Fehler zu veröffentlichen. Die korrekten Antworten werden ausgeblendet. Die Verbesserungen auch. Alles wird von einem Experten – ich nenne ihn mal Johns – auf einer speziellen Tafel, einem sogenannten Dashboard, international ausgewiesen. Die Fehler wachsen und wachsen.
Der Ausblick ist düster. Positives Denken und Optimismus gelten mittlerweile als psychische Erkrankungen. Bei Fehlverhalten werden nun auch die Mitschüler*innen jedes Alters angehalten, dies unverzüglich der Schulleitung zu melden.

Ein neues Schulfach wird eingeführt: Virologie

Ökologie, Psychologie, Soziologie, politische Bildung, Geschichte werden vom Lehrplan gestrichen. Neue Wissenschaftlichkeit nennt sich dies. Orchideenfächer wie Musik, Sport und Werken werden abgeschafft. „Sind die alle verwirrt? Das ist doch ein lupenreiner Tunnelblick“, findet ein Klassenkollege. „Wir sind alle schon ver-virt“, gebe ich bei der Videokonferenz zur Antwort. „Bald haben wir einen Lach-down.“ Der Lehrer verwarnt mich, als ich noch von „Wirr-ologie“ und vom Wirt rede, den ich dringend brauche wie ein Virus. Als ich dann behaupte, Corona wäre mittlerweile mehr Spaltpilz als Virus, beschimpft er mich als Verschwörungstheoretiker und stummt mich. Der Lehrer erklärt dann noch, dass die Grippe heuer keine Chance habe. Ein Schüler, der ihn daraufhin „Influenza-Leugner“ nennt, wird auch gestummt. Eine Klassenkollegin, die gesteht, dass das Unter- und Nachrichten sie nach unten drücke, drückt der Lehrer weg. Neue Toleranz und Liberalität nennt er dies später. Da eh alles verdreht zu sein scheint, verdrehe ich die Buchstaben von Pfizer und öffne den Drehverschluss von meinem Zipfer.

Unter-richten statt aufrichten

Eine Zeitung im Süden Deutschlands interviewt Bill. Er freue sich schon auf die nächste Pandemie, meint er. Zehnmal stärker werde sie. Ich sehe ihn lächeln. Wieso weiß er das? Die neue Realität also. Unterrichten statt aufrichten. Das neue pädagogische Konzept. Wer dagegen aufbegehrt, gilt als empathielos und intelligenzfrei. Außerdem wären Menschen schlechte Wirte. Technokraten würden uns schon in optimierte Maschinen verwandeln, dann hätten wir das Potential, auch Computerviren zu tragen. Neuroverlinkte Doppelvirenträger. Schöne, neue Welt. Die neue Normalität. „Wir müssen einfach besser zurückbauen“, meint der Klaus vom Schulforum. Er ist wieder mal in eine Besprechung geschwabt.

Ausblick

Zum Schluss aber wagen wir aber doch einmal einen unverschämt positiven Blickwinkel: Stellen wir uns vor, die Pädagog*innen und Expert*innen führen uns statt in den Nebel in das Leben.
Vielleicht haben sie das Wort Nebel nur verkehrtherum gelesen, weil gerade alles etwas kehrvert läuft? Sie haben ab jetzt bei allen Maßnahmen die Verhältnismäßigkeit im Auge, ohne zu verharmlosen. Sie geben ermutigende Ziele vor und glauben an die Schüler*innen. Neue Expert*innen erscheinen auf den Bildschirmen. Nicht mehr jene, deren Botschaft auf uns hereinprasselt wie ein mitleidloser lauter Bach, uns in Formation bringend. Sie begeistern uns für eine achtsame, gesunde und ökologische Lebensweise und sehen die Krise als Chance. Sie wissen: Wir sind freie Wesen mit unantastbarer Würde. Sie erklären, wir sollten den Wirt heilen und nicht das Virus bekriegen. Sie wissen auch um die Weisheit des ungesicherten Lebens. Die neuen Lehrer*innen lassen die Jüngeren unter uns wieder leben und schützen die Älteren besser und transparenter als die Monate zuvor. Sie leben Differenzierung, Pädagogik ohne Angst, positives Denken, wertschätzende Beurteilungen.
Sie halten Versprechungen ein und sehen die Jüngsten als Hoffnungs- statt Virenträger.

Ich sehe vor meinen Augen die derzeitigen Pädagog*innen – und male mir aus, ob sie das schaffen. Mir wird schwarz vor Augen.

Vielleicht könnte eine verpflichtende psychotherapeutische Begleitung für diese Pädagog*innen helfen. Behandeln wir nicht ständig psycho-therapeutisch sowieso die Falschen? Vornehmlich jene, die an den kranken Maßnahmen erkranken? Bevor wir die Pädagog*innenen in diesem Beispiel therapieren – sollten wir uns nicht davor noch schnell von den Psychopath*innen verabschieden und diese isolieren? Wie wäre es mit Psychopath*innen-Tests bei unseren Lehrer*innen? Wahrscheinlich ist der neue Anal-Abstrich aus China für solche Tests gedacht. Vielleicht bräuchten wir dann kaum noch Therapien, da zu viele Ärsche positiv auf den Psychopath*innen-Test getestet würden. Dann bekommt die „Heimquarantäne“ auch wieder eine andere Bedeutung. Und sogar die Spritze.

Auf einen neuen Weg raus aus dieser Krise!

Mit dem alten Richten nach unten wird’s ganz sicher nichts. Mit den alten und echten Rechten, die nach Freiheit grölen und das Recht mit Füßen treten, auch nichts. Und was machen wir, wenn die jetzigen Pädagog*innen weiterhin nicht als gute Hirten taugen? Wir führen uns selbst aus dem Sumpf und richten uns auf. Wir verzichten auf Lehrkräfte, die nach unten richten. Wir lernen aus eigener Kraft. Wir wissen die Richtung. Die Reise beginnt mit dem Selbstwert. Die neue Pädagogik ist unser Kompass. Und bei dieser begleiten in Zukunft die Lehrer*innen nur mehr. Sie richten nicht. Höchstens auf!

Gerald Ehegartner ist Lehrer an einer Mittelschule in Niederösterreich.