„Das letzte Schuljahr war besonders. Das kommende Schuljahr wird es gewiss auch. Jedoch hoffentlich auch besonders schön, inspirierend, motiviert, abwechslungsreich, lehrreich, lustig, fröhlich, unterstützend… aber wohl auch besonders herausfordernd. Ich freue mich auf diese gemeinsame Herausforderung mit euch, liebe Klasse.“
Dies schrieb ich in den Brief, den ich meiner 2. Klasse eines sehr schönen Wiener Gymnasiums am Rande der Stadt zu Schulbeginn austeilte. Eine Woche war das junge Schuljahr alt und die „Besonderheit“ – aber nicht nur diese – des Schuljahres 20/21 wurde rot (muss es denn wirklich immer der Rotstift sein, liebe Kolleg*innen?) unterstrichen.
„Haben die etwas angestellt?“
Zwei positive COVID-Fälle, 1. und 2. Klasse. Aufgrund der Kopplung im Unterrichtsfach Englisch war die Hälfte jener lieben Klasse, die ich als Klassenvorstand begleiten darf, ebenso betroffen. Kommuniziert wurde dies hektisch am Gang vor dem Konferenzzimmer. Die neue bedauerliche Info aufgeschnappt, ging es also schnurstracks in „meine“ 2. Klasse. „Maske rauf, zusammenpacken, heimgehen.“ Nicht minder erschrocken blieb der Rest mit vielen Fragen zurück. „Haben die etwas angestellt?“ Verneinend, verstehe ich gleichsam, warum es sich so anfühlte.
„Wir stehen halt an der Front.“ Klingt nach Krieg, ist aber Schule. Wirklich geschützt und unterstützt fühlt man sich diese Tage als Lehrer*in ohnehin nicht. Die Schulleitungen werden mit für sie – sehr oft – unbeantwortbaren Fragen von Eltern und Lehrer*innen überrollt. Man erhält den undankbaren Verweis auf „die Behörde“. Um es greifbar zu machen: Wann endet die Quarantäne? (Wie und warum kann es hierbei zu unterschiedlichen Auskünften kommen?) Warum erhalten die Kinder keinen prinzipiell rechtlich notwendigen Absonderungsbescheid? (Ja, es gibt ihn. Er kommt jedoch zumeist erst dann, wenn die Quarantäne ohnehin wieder beendet ist.) Muss aufgrund eines positiven Falles die gesamte Klasse und das komplette Klassenlehrer*innenteam in 10-tägige Quarantäne? Warum wird hier im Schulstandortvergleich nicht homogener verfahren? Und überhaupt: Warum geht nicht alles einfach schneller?
Schulbeginn als Drucksymbiose
Beschreibungen und Fragen, die eines implizieren: Druck. Druck von den Arbeitgebern auf die arbeitenden – extrem geforderten – Eltern. Druck seitens der Eltern auf die Lehrer*innen und Direktor*innen, die wiederum diesen Druck von allen Richtungen zu spüren bekommen. Diese Symbiose aus Druck und wieder Druck lässt unter anderem eine klare Frage und eine nicht minder klare Schlussfolgerung zu.
Die Frage: Wurde den Bundespolitiker*innen dieses Landes zu wenig Druck gemacht? „Herr Bildungsminister, was ist mit Ihnen?“, hätte es Matthias Strolz formuliert. Es fehlen Plan und Konzept. Es fehlt an Ansprechpersonen und an Tempo. So überraschend kam die zweite Welle nun wirklich nicht. Warum weiß niemand, was zu tun ist? Warum kann nicht klarer kommuniziert werden? Warum.
Lasst uns das tun, was wir am besten können.
Die Schlussfolgerung: Liebe Kolleg*innen, lasst uns das tun, was wir am besten können. Unterrichten. Mit möglichst viel Besonnenheit. Lasst uns den Druck nicht an den Kindern dieses Landes abwälzen. Kein Druck, heißt für mich auch weniger Notendruck (Oder wisst ihr etwa noch, welche Note ihr in der 2. Klasse in Mathe hattet?), heißt viel Verständnis (gestaffelter Beginn, später kommende Schüler*innen), heißt „Miteinander Reden“, heißt die aktuellen Entwicklungen im Unterricht thematisieren (Arbeitslosigkeit, Rolle der Europäischen Union, Stigmatisierungsprozesse, die Rolle von Schule, Digitalisierung, …).
Trotz Druck und dem Beschriebenen, was so gar keinen Spaß machte, saß ich nun am Nachmittag desselben Tages mit über 20 jungen Menschen (mit nötigem Abstand) freiwillig und ungezwungen unter dem Schatten des großen Baumes hinter unserer Schule. Ausgerüstet mit Laptop und Flipchart war es wieder ein Vergnügen zu unterrichten, zu berichten, zu diskutieren und den Fragen und der großen Motivation der mutigen, jungen Leute zu lauschen, die sich nun freiwillig und ungezwungen mit mir daran machen wollen, eine Schüler*innenzeitung zu gründen, die Schulsprecherinnenwahl (kein Sternderl, da ausschließlich Kandidatinnen – und das ganz ohne Quote) zu organisieren, die Schuldemokratie hochzuhalten und offen, kritisch und faktenbasiert über das, was aktuell passiert, zu sprechen. Ganz ohne Druck. Und ja, es machte Spaß.
Der Autor ist Lehrer an einer AHS in Wien.