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Aus gegebenen Anlass findet die Konferenz im Festsaal statt. Die Stühle stehen im Abstand von mindestens einem Meter. Zögernd nehmen wir die Masken ab. Dürfen wir das denn? Ja, wir dürfen, sagt die Schulleiterin.

Ich gucke aus dem Fenster. Der graue, regenverhangene Himmel hat sich allem Anschein nach meiner Stimmung angepasst. Die in den Gängen angebrachten Hinweisschilder über die neuen Regeln der Zusammenarbeit wirken nach. Alles bestimmt und exakt durchgeplant. Die Benützung des Eingangstors, einzeln eintreten, Hände desinfizieren, zügig in das jeweilige Stockwerk gehen, Schuhe vor der Klasse ausziehen und zu dem Platz gehen, den die Lehrer*innen für die Schüler*innen vorgesehen haben. Aufstehen ist nur mir ausdrücklicher Erlaubnis der Lehrer*innen erlaubt. Der Aufenthalt in den Gängen ist nur mit Maske erlaubt.

Wer sich nicht an die Regeln hält, wird für diesen Tag vom Unterricht ausgeschlossen.

Die Schule vor Corona fällt mir ein. Alles lebte und pulsierte. Es wurde umarmt, die Köpfe wurden zusammengesteckt, Wasserflaschen geteilt und oft guckten fünf Schüler*innen gemeinsam Videos auf einem Smartphone.

Die Konferenz

Es folgt zu Beginn eine längere Einführung und Auffrischung des Regelwerks. Vieles, was manchen selbstverständlich erscheint, stellt andere vor Rätsel.

Die Einteilung der Pausen erfolgt individuell. Die Pausenglocke, eines der Relikte aus der K&K-Zeit, wird deaktiviert. Zumindest etwas positives, denke ich mir.

Ein Kollege meldet sich zu Wort.

„Ich würde dann durchgehend unterrichten. Pause brauchen die eh keine, weil sie ja aufs Klo dürfen, auch während der Stunde. Und, also wenn ich tatsächlich Pause mache, dann reichten ja auch fünf Minuten zum Essen.“

„Ja, was machen wir den mit denen in der Pause? Das wird ja fad!“

Ich krame in meinem Rucksack. Irgendwo hatte ich noch Schokolade. Schokolade beruhigt die Nerven. Meine Nerven brauchen das jetzt, genau in dieser Sekunde. Ha! Da ist sie, Erdbeer-Schokolade. Was für ein Glück.

Dann fällt das Thema, wie kann es anders sein, auf die Notengebung.

„Also mit einem Fünfer dürfen sie in jedem Fall aufsteigen? Mit zwei oder mehr nur nach Beschluss der Klassenkonferenz?“

„Na meistens ist ein zweites Nichtgenügend in Aussicht und das Lehrer*innen-Team entscheidet dann. Alles klar! Den Kevin* müssen wir eh nicht mitnehmen. Keine Angst!“ Es folgt erleichterndes Gekicher. Wer will schon Kevin in der Klasse haben?

„Nein, Jadranka wiederholt fix. Von der habe ich seit Wochen nichts gehört. Vielleicht wurde sie von ihren Eltern nach Serbien geschickt. Also, sicher sogar. Ich habe ja nichts von ihr gehört.“ Kluge Eltern, denke ich mir. Schließlich arbeiten beide im Pflegebereich.

„Geh bitte! Immer diese Ausreden! Krise hin oder her. Leisten müssen sie dennoch was. Den Rest ihres Lebens werden sie auch nicht gefragt werden, ob sie es denn zuhause schwer hatten.“ Totschlagargument Nummer eins, fällt mir ein.

Ich schiebe mir eine Rippe Schokolade in den Mund. Der Geschmack nach Blendi-Erdbeer-Zahnpasta lenkt mich ab. Leider nur kurz.

Wieder einmal dreht sich alles um die Beurteilung der schulischen Leistungen. Ich bin fassungslos. Menschen verlieren ihre Arbeitsplätze und stehen vor dem Nichts. Kinder und Eltern können wochenlang der Enge viel zu kleiner Wohnungen kaum entfliehen. Soziale Kontakte müssen eingeschränkt werden. Kindergärten und Schulen sind geschlossen. Familiären Konflikten kann kaum etwas entgegenhalten werden. Und die Institution Schule hat nur eine Sorge. Nämlich kann ich jetzt Mohamed durchfallen lassen, oder muss ich den in die nächste Klasse mitnehmen. Leistung ist Leistung. Keine Leistung ist keine Leistung. Wer nicht folgt, fliegt!

Die zweite Rippe Schokolade bleibt mir fast im Hals stecken.

Hallo Schule? Was geht?

Die Corona-Note

Ich bin keine Freundin der Notengebung. Weil ich mir schon sehr lange bewusst bin, dass mit Hilfe von Zensuren maximal Anpassungsleistung gemessen wird. Wer sich am besten mit dem System Schule arrangiert, zählt zu den Systemgewinner*innen. Aber, wenn die Sehnsucht nach Beurteilung so groß ist, dann führen wir doch die Corona-Note ein. Dann benoten wir die nicht-schulischen Leistungen, die die Schüler*innen in den letzten Wochen der Krise erbracht haben.

Yussuf, 12 Jahre: Sehr gut in allen Bereichen. Er kümmert sich tagsüber um seine kleinen Geschwister, weil die Mutter im Handel arbeitet. Der Vater ist gleich zu Beginn der Corona-Krise untergetaucht.

Elena, 14 Jahre: Sehr gut in allen Bereichen. Sie erklärt seit Wochen nicht nur ihrer Kernfamilie, wie Schule und Leben in der Krisenzeit funktionieren. Übersetzt Formulare, füllt Ansuchen aus, nicht nur die, die die Schule betreffen.

Manuela, 11 Jahre: Sehr gut in allen Bereichen. Sie erträgt seit Wochen ihre häusliche Situation. Die sie ständig überwachende Mutter, der kontrollsüchtige Vater, der angeblich nur aus reinem Verantwortungsgefühl handelt. Der geistig behinderte Bruder, der die elterliche Aufmerksamkeit bekommt, die nach Totalüberwachung der Tochter noch vorhanden ist. Den Schutzraum Schule gibt es zurzeit nicht.

Ali, 15 Jahre. Sehr gut in allen Bereichen. Er verzichtet seit Wochen auf sein Fußballtraining. Er liebt es, weil er nicht zuhause sein muss. Weil er sich so richtig auspowern kann. Dann vergisst er, dass der Kühlschrank nicht immer voll ist, und die sorgenvolle Blicke seiner Eltern, wenn sie abends über den Kontoauszügen sitzen. Jetzt kann auch er dem Ganzen nicht entfliehen. Also baut er seine Eltern auf, spricht ihnen Mut zu.

Maxi, Elisabeth, Justin, Ayse, Vanessa, Dragana und all die anderen: Sehr gut in allen Bereichen, weil sie das Distance-Learning perfekt gemeistert haben.

Ich bin für eine Gesamtnote über die letzten Wochen. Alle erhalten eine Eins. Und die können ja meine geschätzten Kolleg*innen in die Jahresnote einfließen lassen. Dann dürfte der positive Abschluss des Schuljahres 19/20 kein Problem mehr sein, auch bei Kevin.

*Namen wurden geändert.

Die Autorin ist Lehrerin an einer Mittelschule.

Lesezeit: 4 Minuten

Sie bevölkern unsere Konferenzzimmer, sie streunen durch die Schulhausgänge, sie bekritzeln die Tafeln, sie parken die Schulparkplätze voll – wir kennen sie alle: LEHRER!

Ein amüsierter Blick auf 4 unterschiedliche – natürlich fiktive – Szenarien, die sich an der “Inklusiven Wal-Hai-Delphin-Eule-NMS” – in Anlehnung an die 4 Menschentypen nach Tobias Beck – abspielen könnten, wenn es darum geht zum Schulschluss ein Abschiedsfest für die Schüler*innen der 8. Schulstufe zu planen.

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