Das Lehramtsstudium vermittelt einem, wie verschiedene Erdschichten aufgebaut sind und
welche chemische Zusammensetzung sie haben oder lässt einen Mittelhochdeutsch perfekt
verstehen. Doch über Themen wie Elternarbeit, administrative Aufgaben und tatsächliche
Herausforderungen in Wiener Schulklassen hört man kaum ein Wort. Es ist schon paradox, dass
einer der wichtigsten Berufe so lange studiert werden muss, während man gleichzeitig das
Gefühl hat, auf den eigentlichen Beruf überhaupt nicht vorbereitet zu werden.
Meine gesamte Schulpraxis während des Bachelorstudiums bestand aus sechs Team-Teaching-
Einheiten und drei Einzelstunden. In der Geografie-Praxis hielt ich die Teameinheiten sogar in
einem Viererteam ab. Ehrlich gesagt, weiter von der Realität hätte diese Erfahrung nicht entfernt
sein können.
Der Dienstantritt – Konfrontation mit der Realität
Nun habe ich mein erstes Dienstjahr an einer Wiener Mittelschule hinter mir und beginne gerade
das zweite. Die vielen Eindrücke und Erlebnisse, die ich gesammelt habe, könnten wohl ein
ganzes Buch füllen, doch ich werde versuchen, mich hier auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Erst mit dem Eintritt in den Schulalltag merkt man, wie viel man eigentlich nicht weiß. Das
Studium bereitet einen nicht ausreichend auf die Realität des Lehrberufs vor, und viele
Lehramtsstudierende erleben dann einen Schock, wenn sie zum ersten Mal vor einer Klasse
stehen. In den wenigen pädagogischen Veranstaltungen an der Universität wird man häufig von
Professor:innen unterrichtet, die nie selbst in einem Klassenzimmer standen. Ich erinnere mich
besonders an ein Seminar, in dem die Lehrkraft wiederholt gefragt wurde, wie sie in bestimmten
Unterrichtssituationen reagieren würde. Doch konkrete Antworten haben wir nicht bekommen.
„Das kommt immer darauf an“ oder „Das sehen Sie dann, wenn Sie unterrichten“ waren die
gängigen Antworten – und diese waren keine Einzelfälle.
Ich habe schnell gelernt, dass der Großteil des fachlichen Wissens aus der Uni im Alltag nicht
unbedingt von Bedeutung ist. Was jedoch viel problematischer ist, ist die fehlende Vorbereitung
auf die tatsächlichen Herausforderungen, die der Schulalltag mit sich bringt. Es scheint fast
normal geworden zu sein, dass man sich alles selbst beibringen muss, sobald man in den Beruf
einsteigt. Der Gedanke „das sieht man dann schon, wenn man unterrichtet“ wird immer
häufiger von den Universitäten übernommen.
Wenn man dann endlich nach mehreren Jahren Studium in der Schule steht und beispielsweise
das erste Elterngespräch führen muss, ist man oft völlig überfordert. Wie beginnt man so ein
Gespräch? Was ist angebracht und was vielleicht nicht? Diese Fragen hat man im Studium kaum
thematisiert.
Auch das Bild, das einem von einer Schulklasse vermittelt wird, könnte kaum weiter von der
Realität entfernt sein. Nein, es sitzen nicht alle Kinder ruhig da und hören interessiert zu. Und
nein, es gibt keine Klasse, in der es keine Schwierigkeiten gibt. Obwohl die Sprachvielfalt in Wien
oft zur Sprache gebracht wird, fehlt es im Studium an praktischen Hinweisen, wie man diese in
der Klasse bewältigt. Gerade im Germanistikstudium wäre das besonders hilfreich gewesen.
Das große Fragezeichen, das vielen Berufseinsteiger:innen im Kopf schwebt, ist das „WIE?“ Wir
wissen, dass es verhaltensauffällige Schüler:innen gibt, aber wie man mit ihnen umgeht, lernt
man kaum. Wir wissen, dass viele Kinder keine oder nur geringe Deutschkenntnisse haben, aber
wie wir ihnen im Unterricht helfen können, das wird kaum vermittelt.
Diese Unsicherheiten führen dazu, dass viele Lehrkräfte schon nach wenigen Wochen wieder
kündigen. An meiner Schule war dies letztes Jahr der Fall, und auch dieses Jahr haben wir
wieder Kolleg:innen verloren, die sich nicht ausreichend vorbereitet fühlten.
Ich persönlich hatte das Glück, mich durch die Erfahrungen meines Partners, der bereits vor
Jahren in einer Mittelschule tätig war, im Vorfeld etwas auf diese Herausforderungen einstellen
zu können. Dadurch konnte ich mir schon früh Gedanken darüber machen, wie ich in
verschiedenen Situationen reagieren würde, was mir den Einstieg sicherlich erleichtert hat.
Doch sollte dies wirklich als „Privileg“ gelten? Sollte nicht jede:r Lehramtsstudierende die
Möglichkeit haben, sich realistische Vorstellungen vom Beruf machen zu können, bevor er/sie
ins kalte Wasser geworfen wird?
Meine persönlichen Erfahrungen im ersten Dienstjahr
Nun, genug Kritik an der Universität Wien. Wie sah mein erstes Dienstjahr denn tatsächlich aus?
Es war geprägt von intensiven neuen Erfahrungen, vielen kleinen Erfolgen und einem steilen
Lernprozess. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich am ersten Tag in die Schule kam und
plötzlich mit vielen Begriffen und Abkürzungen konfrontiert wurde, die mir völlig neu waren.
Begriffe wie „KEL-Gespräche“ , „Sche-Bögen oder ao-Kinder waren mir zunächst fremd, aber
nach kurzer Zeit war ich überrascht, wie schnell man sich in diese neue Welt einfindet. Diese
neuen Herausforderungen haben mich nicht nur gefordert, sondern vor allem motiviert.
Eine der größten Lektionen im ersten Jahr war, dass jede noch so kleine Entscheidung oder
Handlung gefühlt unendlich viel Zeit in Anspruch nahm. Jede Entscheidung – sei es, wie ich eine
Sitzordnung gestalte, wie ich mit Schüler:innen in schwierigen Situationen umgehe oder wie ich
ein Elterngespräch beginne – wurde von mir anfangs lange überdacht. Im ersten Jahr wollte ich
immer alles richtig machen, und das führte dazu, dass ich mich oft selbst hinterfragte. Doch
genau diese intensive Beschäftigung mit den kleinen Details hat mich wachsen lassen. Im
zweiten Jahr merke ich nun, dass viele dieser Entscheidungen viel schneller und
selbstverständlicher getroffen werden. Man gewinnt Routine und das Vertrauen in die eigenen
Fähigkeiten.
Ein besonderer Moment in meinem ersten Jahr war, als mir angeboten wurde, Klassenvorstand
zu werden. Viele sehen darin nur zusätzliche Arbeit, aber für mich war es eine unglaubliche
Ehre. Ich war unglaublich dankbar für diese Möglichkeit, weil ich es als ein großes Vertrauen in
meine Arbeit empfand. Dieses Angebot hat mir gezeigt, dass ich auf dem richtigen Weg bin und
dass meine Arbeit gesehen und wertgeschätzt wird. Als Klassenvorstand habe ich die
Möglichkeit, noch enger mit meinen Schüler:innen zusammenzuarbeiten und sie auf ihrem Weg
intensiver zu begleiten, was für mich eine der schönsten Aufgaben im Lehrberuf ist.
Zusätzlich zu dieser Rolle wurde mir auch die Chance gegeben, einige administrative Aufgaben
der Schule zu erlernen, für den Fall, dass es irgendwann nötig sein sollte
mitzuhelfen/einzuspringen. Auch das mag nach mehr Arbeit klingen, aber für mich war es ein
Zeichen, dass man mir viel zutraut. Ich empfinde es als große Ehre, schon im ersten Jahr so viele
Möglichkeiten zu bekommen. Ich habe dabei meine eigene Theorie entwickelt: Je mehr man am
Anfang lernt und je früher man „ins kalte Wasser geworfen wird“ , desto schneller wächst man in
die Rolle hinein und desto sicherer fühlt man sich im Schulalltag. Dieser Gedanke hat mir
persönlich sehr oft geholfen – besonders in stressigen Situationen.
Was mir bei all diesen neuen Aufgaben und Herausforderungen noch sehr geholfen hat, war das
großartige Team, in das ich aufgenommen wurde. Ich hatte großes Glück, an eine Schule zu
kommen, an der das Kollegium nicht nur professionell, sondern auch unglaublich unterstützend ist.
Gerade im ersten Jahr ist es enorm wertvoll, ein Team zu haben, auf das man sich verlassen
kann. Es gab viele Momente, die anstrengend waren, sei es ein anstrengender Unterrichtstag
oder eine schwierige Situation mit einem:r Schüler:in. Doch zu wissen, dass man sich immer mit den
Kolleg:innen austauschen kann, hat mir die Sicherheit gegeben, dass ich nicht allein bin.
In unserer Schule wird viel mit Humor gearbeitet, was gerade an stressigen Tagen eine große
Erleichterung ist. Es ist wichtig, dass man lernt, auch über schwierige Situationen zu lachen und
den Stress nicht zu ernst zu nehmen. Meine Schulleiterin und ihre Stellvertreterin waren in
diesem ersten Jahr eine große Stütze für mich. Sie haben mir bei vielen Unsicherheiten geholfen,
sei es bei organisatorischen Fragen oder bei der Korrektur von Schularbeiten. Es war beruhigend
zu wissen, dass ich immer auf ihre Unterstützung zählen konnte, und das hat mir gerade im
ersten Jahr sehr geholfen. Sie haben mir nie das Gefühl gegeben, dass es schlimm sei, etwas
nicht zu wissen – im Gegenteil, sie haben mir stets den Rücken gestärkt und mir das Gefühl
gegeben, dass Fehler ein Teil des Lernprozesses sind.
Und trotzdem ein Traumberuf?
Absolut! Trotz all der Kritik an der Ausbildung würde ich diesen Beruf immer wieder wählen. Es
mag sein, dass einige Punkte in diesem Text bislang eher negativ klangen, doch das bezieht sich
hauptsächlich auf die Ausbildung und die mangelnde Vorbereitung. Sobald man sich jedoch
eingelebt hat und den einen oder anderen Fehler gemacht hat, beginnt man, den Beruf wirklich
zu genießen.
Die Kinder sind das, worauf es ankommt. Sie sind der Grund, warum ich diesen Job so liebe.
Viele Lehrkräfte hören oft den Satz: „Bei der heutigen Jugend würde ich mir diesen Job nicht
antun.“ Doch für mich gibt es nichts Schöneres, als zu wissen, dass ein Kind etwas gelernt hat,
weil ich ihm dabei geholfen habe. Oder dass ein Kind mit einem Problem zu mir kommt, weil es
mich als Vertrauensperson ansieht.
Es sind diese Momente, die all die Mühen wert sind. Wenn Kinder einem private Dinge
anvertrauen oder sich an einen wenden, weil sie Hilfe oder Rat brauchen, spürt man, dass man
als Lehrkraft eine wichtige Rolle in ihrem Leben spielt. Man kann als Lehrkraft entscheidend für
die Entwicklung eines Kindes sein – und das gibt mir unglaublich viel Motivation.
Ich liebe diesen Job, weil ich sehe, wie ich das Leben der Kinder beeinflussen kann. Jeder kleine
Erfolg eines Schülers/einer Schülerin oder eine ehrliche Dankbarkeit für Hilfe macht den Stress
und die schwierigen Situationen wett. Solange man nicht vergisst, dass es letztendlich um die
Kinder geht, kann man auch über viele Schwächen im Bildungssystem hinwegsehen.
Die Autorin ist Lehrerin an einer Wiener Mittelschule.