Schlagwortarchiv für: Lehrer*innen

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Haben wir ihnen genug beigebracht? Haben wir streng genug benotet? Werden sie es an einer weiterführenden Schule schaffen? Haben sie eine echte Chance da draußen? Das waren die Fragen, die uns heute vor einem Jahr umgetrieben haben. Nach vier Jahren Klassenvorstandsteam, in denen wir alles gegeben haben und eineinhalb Jahren Corona-Chaos durften oder mussten wir sie also gehen lassen. Viele Tränen auf unserer Seite, viel Abschiedsschmerz und doch auch Vorfreude auf neue Erfahrungen und Erlebnisse auf der Seite der Schüler:innen. Vier Jahre intensive Zusammenarbeit (oftmals mehr Stunden pro Woche mit der Kollegin und den Schüler:innen, als man den eigenen Partner sieht), vier Jahre Begleiten, Stärken, Trösten, Fördern und gemeinsam Pläne machen. Vier Jahre Schule, vier Jahre Leben.

25 Jugendliche aus einer Mittelschulklasse in einem Wiener Randbezirk. Kids, mit denen wir bereits seit sie 10 Jahre waren daran gearbeitet haben herauszufinden, was sie gut können und was sie gerne mal werden möchten. Kids, denen wir aber auch die Arbeitslosenstatistiken nach Bildungsabschlüssen nicht vorenthalten haben, weil es nicht fair gewesen wäre ihnen zu sagen, sie könnten alles einfach schaffen, wenn sie es nur wollen. Ja, sie können vieles schaffen, aber dafür müssen sie doppelt so hart arbeiten und auch dann wird es nicht leicht. Denn vier Jahre in der Mittelschule sind unfassbar wenig Zeit und mit 14 ist man tatsächlich noch sehr jung um eine so weitreichende Entscheidung zu treffen. Auf dem Sprung in eine weiterführende Schule stellt dann der Ruf der Mittelschule noch eine letzte fiese Hürde dar. “Ich wurde nicht aufgenommen”, erklärte uns ein Schüler mit lauter (Standard AHS) Einsern noch im März letzten Jahres, als er die Rückmeldung von seiner Wunsch-HTL bekommen hat. “Sie haben gesagt, sie haben zu viele Anmeldungen.” 

Doch es ist gelungen, es musste ja: Fünf Schüler:innen haben den Sprung in die AHS bzw. BHS geschafft, zwei in die Übergangsstufe, zehn in berufsbildende mittlere Schulen, zwei gingen ins Poly, einer fand eine Lehrstelle, zwei verließen uns noch auf der Suche danach. Drei Schüler:innen blieben als außerordentliche Schüler:innen noch ein Jahr an der Schule.

Ein Jahr vergeht schnell. Trotz Abschiedsschmerz geht man schließlich seinen eigenen Weg weiter, entwickelt sich weiter, die Erinnerungen verblassen. Und jetzt – ein Jahr danach: das Klassentreffen. Ein Rückblick auf unsere Arbeit, eine Rückmeldung, ob wir unseren Schüler:innen alles Wichtige mit auf den Weg gegeben haben. Ein Treffen auf Augenhöhe, so richtig.

Ungefähr die Hälfte der Klasse war da. Corona und Nachmittagsunterricht verhinderten manche, andere wollten oder konnten sich die Zeit nicht nehmen.

Der erste Eindruck

Die sind ja alle so groß geworden!“ In einem Jahr tut sich viel. Das Groß-sein merkt man ihnen sofort an, physisch aber auch in ihrer Art. Die Ausdrucksweise hat sich geändert. Mehr Selbstständigkeit und Eigenverantwortung sind herauszuhören. „Ich hatte die Wahl zwischen zwei Schulen nach dem Poly, beide habe ich besucht und dann eine Entscheidung getroffen. Die eine Ausbildung hat mir vom Aufbau her nicht gefallen.“ „Ich gehe nebenbei noch 3-4 Mal die Woche ins Training, den Ausgleich mag ich.“ „Ich hab in dem Jahr so viel gelernt wie noch nie, es war anstrengend, aber ich bin sehr stolz.

Der zweite Blick

Ich muss das Jahr wiederholen, denn es war mir einfach zu schwer. Ich wollte auch eigentlich Schule wechseln oder eine Lehre machen aber ich wurde nirgends genommen. Jetzt probier ichs nochmal im Gymnasium.“ „Ich habe vier Vierer im Zeugnis, in Mathe hatte ich eine Prüfung, die ich zum Glück geschafft habe.“ „Ich habe zwei Nachprüfungen im Herbst, wenn ich sie nicht schaffe ist unklar, ob ich wiederholen darf. Ich hoffe schon.“ „Ich habe im Zeugnis nur Einser und Zweier.“ „Ich kann nach der Übergangsstufe in die 5. Klasse aufsteigen. Genau so wie ich es mir gewünscht habe. Es war harte Arbeit.“ „Ich habe endlich eine Lehrstelle gefunden und vor zwei Monaten begonnen. Es ist schwierig, aber es gefällt mir.

Die Lebenswege sind so verschieden. Und trotzdem geht jede und jeder selbstbestimmt den eigenen Weg weiter. Ein Jahr danach können wir klar sagen: Unsere Arbeit hat gefruchtet. Sie bahnen sich ihren Weg durch ein Schulsystem, das es ihnen alles andere als leicht macht. Dranbleiben, einen Plan machen, hart arbeiten, sich Hilfe suchen, an sich glauben, aus Fehlern lernen, aufstehen, wenn man hingefallen ist, nicht aufgeben: Wir haben ihnen vieles mitgegeben, was sie auf ihrem Weg brauchen. Und sie sind dabei, das Beste daraus zu machen.

Die Autorinnen sind Lehrerinnen an einer Mittelschule in Wien.

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“Einmal Lehrer*in – immer Lehrer*in.” Das gilt für die überwiegende Mehrheit der Personen, die sich für das Lehramt entscheiden heute noch  immer. Während der Quereinstieg in den Lehrberuf zunehmend erleichtert wird, ist ein – wenn auch nur zeitlich begrenzter – Ausstieg oder eine berufliche Umorientierung in der Regel nur schwer möglich. 

Wir haben mit vier Lehrerinnen gesprochen, die sich über die Initiative Seitenwechsel für einen solchen temporären Umstieg entschieden haben. Für ein Jahr arbeiten sie in Unternehmen um schließlich mit neuen Perspektiven und Skills zurück in die Schule zu kommen: 

Warum hast du dich dafür entschieden für ein Jahr die Schule zu verlassen und in einem Betrieb zu arbeiten? 

Cornelia:  Ich bin über Umwege Lehrerin geworden, habe in verschiedenen Bereichen gearbeitet. Nach ein paar Unterrichtsjahren war mir nach Abwechslung, neuem Input. Ich habe bereits Arbeitserfahrung mitgebracht, und wollte meinen, für mich auch im Unterricht extrem wertvollen, Background noch erweitern.

Anna*: Weil ich bisher kaum Berufserfahrung außerhalb des Bildungsbereichs hatte und hier die Chance gesehen habe, den Alltag in einem Betrieb kennenzulernen und mein Fachwissen auch einmal praktisch anwenden zu können.

Mitra: Ich war jetzt 4 Jahre Klassenvorständin und habe meinen Schwerpunkt stark auf Berufsorientierung gelegt, da dieses Thema unsere Jugendlichen in der Mittelschule sehr stark betrifft und vor allem auch beschäftigt. Es ist wahnsinnig schwer, sich mit 14 zu entscheiden, was man als nächstes machen möchte, was ich absolut nachvollziehen kann. Ich bin froh, dass ich das damals nicht musste.

Ebenso lege ich einen großen Schwerpunkt auf sogenannte „Life skills“, also Umgang mit Geld, wie ein Haushaltsbuch führen, Eingaben und Ausgaben, wie viel und welche Ausgaben kommen überhaupt auf mich zu, wenn ich alleine wohne, wie vergleiche ich Versicherungen, suche ein Bankkonto aus, wie funktionieren Kredite, Schulden usw.

Wenn diese Themen nicht durch die Eltern erlernt werden, bleibt nur die Schule. Deshalb ist es wichtig, dass wir Lehrer*innen auch viele solcher Kompetenzen lehren.

Um meine Schüler*innen nun so gut und vor allem so authentisch wie möglich auf die Berufswelt vorzubereiten, wollte ich selbst die Arbeitswelt außerhalb der Schule kennenlernen.

Durch Seitenwechsel hatte ich zum Glück die Gelegenheit dazu und habe es gewagt. 

Ja, es ist ein großer Schritt, weg vom gewohnten Arbeitsumfeld zu gehen und etwas zu machen, wo man sich nicht wirklich auskennt, obwohl man eigentlich immer diejenige ist, die das tut. Aber genau das, ist doch auch wieder wichtig, um sich besser in die Lage unserer Jugendlichen hineinzuversetzen.

Alexandra: Eine langjährige Kollegin hat mir einen Zeitungsartikel über die Initiative Seitenwechsel übermittelt und somit begann ich mich über dieses Projekt zu informieren. Nach jahrelanger Unterrichtstätigkeit ermöglicht mir dieses Programm meine fachlichen Kompetenzen zu erweitern und mich persönlich weiterzuentwickeln. 

Wie bist du im Unternehmen aufgenommen worden? 

Cornelia: Sehr offen! Was mich als Person, meine Stärken und Schwächen und die Themen an denen ich arbeite, betrifft.

Anna: Sehr gut. Gleich am ersten Tag wurde ich allen persönlich vorgestellt und die Kolleg*innen sind alle nett und hilfsbereit. 

Alexandra: Am ersten Tag wurde ich vom Leiter der Personalabteilung in Empfang genommen und erhielt zuerst eine Gebäudeführung. Anschließend lernte ich meine KollegInnen im Labor kennen. In der ersten Arbeitswoche hatte ich ein Onboarding-Programm, indem die Abteilungsleiter*innen für administrativen Angelegenheiten ihre Aufgabenbereiche vorstellten. Daher wusste ich bereits, wen ich bei Fragen kontaktieren kann. Die Hilfsbereitschaft meiner KollegInnen ist sehr wertvoll für meine „neue“ Tätigkeit.

Was sind deine neuen Aufgaben? Fühlst du dich mittlerweile gut eingearbeitet? 

Cornelia: Aufgaben gibt es in unserer Abteilung viele; viele Ideen, die umgesetzt werden wollen. Unter all den Technikern (und einer Technikerin) habe ich mir anfangs nicht viel zugetraut. Mittlerweile ist es besser, ich habe das Gefühl, die Aufgaben einschätzen zu können und weiß besser, was ich mir zutrauen kann. 

Anna: Auch wenn ich mittlerweile eingearbeitet bin, gibt es immer wieder neue Herausforderungen und ich lerne ständig dazu. Es macht aber immer wieder Freude und stärkt mein Selbstbewusstsein, wenn ich wieder etwas geschafft habe.

Mitra:  Am Anfang habe ich doch eine Weile gebraucht und es war manchmal nicht so angenehm, nicht die zu sein, die sich auskennt, sondern die, die Erklärungen und Arbeitsanweisungen braucht.

Trotzdem und vor allem auch durch das hilfsbereite und nette Team, konnte ich mich gut einfinden und arbeite mittlerweile schon gut mit. Und vor allem schon etwas selbstständiger.

Mein Hauptbereich ist das Risikomanagement, wo ich Berichte überarbeite und erneuere, von Berichten Powerpoint Präsentationen als Zusammenfassung und Übersichten erstelle. Ebenso erstelle ich neue Beurteilungsblätter für Einzelrisiken.

Nebenbei unterstütze ich unsere Juristin bei Recherchen, Korrekturlesen von juristischen Texten oder Erstellen von Powerpoint Präsentationen und lese auch zukünftige Artikel oder Broschüren für die PR Managerin gegen.

Ich werde in dem Jahr aber auch noch die Arbeit der anderen Bereiche der B&C kennenlernen, wie zum Beispiel die Innovation Investment oder die Stiftungsarbeiten. Bei beiden darf ich jetzt schon immer wieder ein bisschen reinschnuppern.

Alexandra: Auf jeden Fall war es zu Beginn eine große Herausforderung in einem Labor tätig zu sein und neue wissenschaftliche Methoden kennenzulernen. Es ist eine vielseitige Tätigkeit in internationalem Umfeld, daher wird Englisch als Arbeitssprache verwendet. Die Abläufe meiner Arbeit sind gut strukturiert und meine Labortätigkeit muss täglich dokumentiert werden. Inzwischen kann ich zum Teil selbstständig im Labor arbeiten und darüber freue ich mich. 

Wo liegen die auffälligsten Unterschiede zwischen dem schulischen und deinem jetzigen Arbeitsumfeld? 

Cornelia: Die Lautstärke; der Stress, dem man als Lehrer*in oft ausgesetzt ist. Besonders in der Zeit von Covid. Mehr Sachlichkeit, weniger Zwischenmenschliches.

Anna: Das Markanteste ist, dass ich meine Arbeitsmaterialien vom Dienstgeber zur Verfügung gestellt bekomme und ich zwar keine Ferien habe, aber dafür jeden Abend und jedes Wochenende frei habe. Auch erhalte ich für jede Stunde, die ich zusätzlich arbeite, Zeitausgleich. Außerdem ist die Hierarchie steiler, ein*e Vorgesetzte*r hat weniger Leute zu betreuen wie ein*e Direktor*in. Dadurch ist er*sie aber auch leichter zu erreichen.

Alexandra: Ein besser ausgestattetes Arbeitsumfeld für MitarbeiterInnen, IT-Abteilung (Wartung der Laptops sowie PCs, Installation der Software, Unterstützung bei IT-Problemen etc.), definierte Aufgabenbereiche, wöchentliche Besprechungstermine, Organisation der Dienstreisen durch Backoffice und vieles mehr- 

Was denkst du, welche neuen Kompetenzen oder Blickwinkel wirst du nach diesem Jahr mit zurück in die Schule bringen? Wie werden davon die Kinder und/oder der Schulstandort profitieren? 

Cornelia: Mit so einer Erfahrung wächst man als Persönlichkeit. Deshalb ist das, was ich mitnehme sehr vielfältig. Von bestimmten Planungstools, Fachwissen, zwischenmenschlichen Erlebnissen, Gelassenheit, verstärkt den Blickwinkel der Eltern einbeziehen, Ideen für Veränderungen in der Organisation… Das alles sind spannende Themen für den Unterricht.

Anna: Die Schüler*innen werden dadurch profitieren, dass ich die Frage nach der praktischen Anwendung von Mathematik nicht nur aus zweiter Hand beantworten kann, sondern ich auch ganz konkret von meinen Erfahrungen berichten kann. Durch die Kontakte, die ich geknüpft habe, ist es auch sicher einfacher Betriebsführungen zu organisieren.

Mitra: Ich denke, allein den Mut zu haben, bei dem Projekt mitzumachen, ist schon mal eine wertvolle Kompetenz, die wichtig für Schüler*innen ist. Seine Komfortzone zu verlassen, ist für niemanden leicht. Jugendliche müssen das ständig tun, sich das in Erinnerung zu rufen, stärkt das Verständnis in so manchen Situationen.

Nicht immer die Lehrende, sondern wieder einmal in „Schüler*innenposition“ zu sein, ist sehr lehrreich und oft nicht angenehm. Ich bin zwar wirklich geduldig, aber sich in Erinnerung zu rufen, dass man manche Dinge einfach auch mal nicht versteht und dass da jetzt niemand Schuld ist, sondern einfach manchmal länger braucht, ist sehr hilfreich, bei unserem Job.

Natürlich ist jede Firma und jede Arbeit anders, aber in einem, „klassischen“ 40 Stundenjob hat man natürlich weniger Freiheiten in der  Arbeits-und Zeiteinteilung. Das ist definitiv eine Umstellung. Einerseits ist es angenehm, da jetzt für ein Jahr Wochendende wirklich Wochenende ist, was es im Lehrer*innenalltag meistens nicht ist. Andererseits war 9-10 Stunden im Büro am PC zu arbeiten, definitiv eine große Umstellung für mich. 

Genau vor dieser kompletten Umstellung stehen aber unsere Schüler*innen nach der Mittelschule, wenn sie entweder eine Lehre machen oder in eine weiterführenden Schule wechseln, wo das Stunden-und Lernpensum definitiv höher ist, als bei uns.

Ganz wichtig für mich hierbei ist es natürlich, dass ich meinen Schüler*innen aus meinen eigenen Erfahrungen berichten kann: Wo kann es Schwierigkeiten geben? Was sind wichtige Fähigkeiten, die man vielleicht brauchen könnte? Wie schaffe ich es, mich einer neuen SItuation zu stellen, den neuen Alltag mit meinen Hobbies zu vereinbaren?  usw.

Aber durch die Arbeit in der B&C erhalte ich auch spezielles Fachwissen. Durch die Stiftung und ihre Arbeit lerne ich viele Bildungseinrichtungen und Initiativen kennen, die ich auf jeden Fall im Hinterkopf behalten möchte und auch versuche, mit der Schule zu verbinden. Gerade im Bereich „Wirtschaftsbildung“ gibt es viele Initiativen und das brauchen wir.

Nach dem einen Jahr, weiß ich auf jeden Fall auch wieder ganz genau, ob ich den richtigen Job gewählt habe. Ich denke, sich die Verantwortung und Schönheit unseres Berufes vor Augen zu halten, ist ganz wichtig.

Alexandra: Meine fachlichen Kenntnisse werden erweitert und dadurch auch meine Fähigkeit aktuelles Wissen in meinen Unterrichtsgegenständen zu vermitteln. Diese neuen Impulse kann ich in meiner Unterrichtstätigkeit zukünftig integrieren. Diese Initiative kann mir eine Kooperation mit diesem Unternehmen ermöglichen, sodass meine Schüler*innen eine Perspektive außerhalb der Schule erhalten und eventuell einen zukünftigen Arbeitsbereich kennenlernen.

Warum sollten auch andere Lehrerinnen und Lehrer diese Erfahrungen außerhalb des Klassenzimmers sammeln? 

Anna:  Weil es gut tut, eingefahrene Wege zu verlassen und auch einmal Neues kennenzulernen. 

Mitra: Viele Lehrer*innen kommen nach dem Studium direkt in die Schule zurück und haben oft keine bis wenig wirkliche Arbeitserfahrung außerhalb der Schule. Aus diesem Grund finde ich es ganz essentiell, dass man diese Chance nutzt, um Einblicke in den Arbeitsalltag abseits der Schule zu bekommen und am eigenen Leib zu spüren, wie es ist in einer Firma zu arbeiten. In Folge kann man so natürlich dann auch die Schüler*innen viel besser und authentischer auf das Arbeitsleben vorbereiten. 

Alexandra: Mit diesem Projekt können Lehrer*nnen neue Impulse für ihre Unterrichtstätigkeit erhalten und ihre Offenheit für Veränderungen bewahren. 

Cornelia hat Genetik und Mikrobiologie studiert, ist AHS Lehrerin (Chemie, Biologie,Ökologie) und arbeitet seit September bei der Berndorf Band GmbH in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung als Chemikerin

Anna*, ebenfalls AHS Lehrerin (Mathematik und Chemie), arbeitet aktuell in der R&D-Abteilung (Forschung und Entwicklung) eines Industriebetriebs. 

Mitra hat ihre Lehrtätigkeit in einer Wiener Mittelschule dieses Jahr für eine Stelle bei der B&C Industrieholding getauscht und arbeitet dort in im Risikomanagement. 

Alexandra unterrichtete im Gymnasium verschiedene naturwissenschaftliche Fächer und ist nun am Research Center for Molecular Medicine of the Austrian Academy Sciences (CeMM) als Projektmitarbeiterin tätig. Dort liegt ihr Fokus im Erlernen von Zellkulturtechniken im biomedizinischen Forschungsbereich sowie der Anwendung der molekularbiologischen CRISPR/Cas-Methode.  

Die Autoren sind Teilnehmer*innen des Seitenwechsel-Programms.
Kontakt über erwin.greiner@seitenwechsel.at

*Name von der Redaktion geändert

Lesezeit: 4 Minuten

Das magische Tabu

Er ist gnadenlos, machtbesessen, verbreitet Angst und Schrecken. Wagt es jedoch jemand seinen Namen auszusprechen, droht demjenigen ein übles Schicksal. So wird nur in kleinen geheimen Kreisen über ihn geflüstert. Harry Potters Narbe an der Stirn schmerzt, wenn er in seiner Nähe ist. Es ist, Sie wissen schon, wen ich meine.

Nein, Lord Voldemort ist in der Mittelschule nicht allgegenwärtig, und auch leide ich nicht an hochgradigem Realitätsverlust. Aber wir haben auch ein Problem dieser Art. Kaum jemand spricht darüber, wenn nur in kleinen, wohlvertrauten Kreisen.  Wir schütteln die Köpfe und bestätigen einander Fassungslosigkeit. Dann stehen wir wieder in den Klassen. Denn von offizieller Seite hat es unser Problem lange nicht gegeben.

Wir haben ein Problem. Sie wissen schon.

Als in den Sommerferien Generation Haram von Melisa Erkurt erscheint, verschlinge ich das Buch innerhalb von 48 Stunden. Ein Buch, das das System Schule gebraucht hat. Denn die Autorin spricht unter anderem jenes Problem an, über das bis dahin immer noch Stillschweigen geherrscht hat. Sie spricht über Rassismus. Über jenen Rassismus, der von Lehrer*innen ausgeht und die Schüler*innen bis ins Mark trifft. Über Alltagsrassismus, den es immer schon gegeben hat und der bis heute nicht aus den Schulen verschwunden ist.

Ein kurzer Rückblick

Ich unterrichte seit fast dreißig Jahren an der Mittelschule. Schon in der Ausbildung wurde uns von vielen Lehrer*innen vermittelt, dass früher alles besser war. Nämlich als die Schüler*innen noch Hansi, Lisi und Wolfgang hießen. Da war die schulische Welt noch im Lot. Aber wir, also die, die vor 30 Jahren zu unterrichten begonnen haben, würden diese Zeit der Hansis nie mehr erleben, unsere Realität werden Alis und Zehras sein.

Meine Klassenliste liest sich wie das türkische Telefonbuch,“ hat mir eine meiner Betreuer*innen damals erklärt. Dazu kamen dann jene Kolleg*innen, die mir tatsächlich nahelegten meine Berufswahl zu überdenken. Noch hätte ich die Chance es mir anders zu überlegen. Das Lehrer*innnendasein wäre heutzutage, also vor 30 Jahren, kein Honiglecken mehr.

Ich habe mich zum Glück nicht abschrecken lassen. Ich empfand die Klassengefüge nie als defizitär. Im Gegenteil, ich hatte von Beginn an das Gefühl in wache, interessierte Augen zu gucken. Ich bewunderte von Anfang an den Mut und die Ausdauer dieser Schüler*innen. Was mich schon zu der Zeit abschreckte, war diese geballte Ladung an Rassismus. Würde ich das aushalten?

Die alltäglichen Bemerkungen

Nahezu 30 Jahre sind vorbei. Ich habe nicht nur an einer Schule unterrichtet. In zahlreichen Fortbildungen habe ich Kolleg*innen aus allen schulischen Bereichen kennengelernt. Es waren und sind großartige Kolleg*innen dabei, die mich bewusst oder unbewusst in meiner Berufswahl bestärkt haben oder bestärken.

Aber, mich umgeben in den unterschiedlichsten Settings auch jene, deren rassistische Haltung für mich immer unerträglicher wird. Deren Bemerkungen, die ihnen so im Laufe des Tages auskommen, mich kalt erwischen und verstummen lassen.

Das wird man doch noch sagen dürfen,“ wurde und wird mir bis heute erklärt. Ich möge nicht so empfindlich sein. Schließlich sagt man das den Schüler*innen nicht ins Gesicht.

Also, das wird man doch noch sagen dürfen

Ja was eigentlich?

Bei uns sind die A-Klassen die Vorzeigeklassen. In den anderen Klassen ist nur mehr der Schrott. Kaum einer hat österreichische Eltern.

Wie soll ich unterrichten, wenn in meiner Klasse heuer vier „Nix sprechta Kinder“ sitzen?

Jetzt hat die auch schon so einen Fetzn am Kopf.

Der N (das N-Wort ist gemeint) und der Asoziale haben sich in der Gangaufsicht in die Pappn gehaut.

Wo ist der Araber?

Die Z-Oma (das Z-Wort ist gemeint) hat sich schon wieder beschwert.

Nurhan heißt die? Knurhan wäre besser, passt auch zu ihrem Gesicht.

Ich mag die Serben nicht, mit denen kann ich gar nicht. Die sind alle faul.

Also bei uns funktionieren die Türken besser.

Früher war alles besser. Da hat es noch die Heime gegeben, wie die Hohe Warte (das Kinderheim Hohe Warte war eines der berüchtigsten Kinderheime in Wien). Da hast dann solche hin abschieben können.

Die versteckt sich hinter ihrem Kopftüchl.

Der Maximalpigmentierte aus der 1. Klasse.

Stinkfaul, Z (das Z-Wort ist gemeint) eben.

Typisch türkisches Mädchen. Sitzen eh nur die Schulpflicht ab und heiraten dann.

Wenn es den Eltern nicht passt, dann sollen sie ihr Kind abmelden und sich zurück am Balkan schleichen.

Die Analphabeten-Mutter.

Der Kollege, der im Sommer die Liste seiner künftigen Schüler*innen im Internet veröffentlicht hat, der ist ein unglaublich toller Kollege. Der liebt die Kinder. Die Liste war nur ein Scherz unter Freunden.

Fikrije? Die heißt tatsächlich so? Na bumm. Hoffentlich ist der Name nicht ihre zukünftige Bestimmung.

Mit diesem Material (gemeint sind die Schüler*innen) kann ich nicht arbeiten. Ich bin dafür nicht ausgebildet.

Diese Aufzählung zu vervollständigen würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Sie stellt einen minimalen Auszug aus unterschiedlichen Settings aus dreißig Jahren Unterrichtstätigkeit dar.

Es ist an der Zeit

Viel zu lange habe ich weggehört. Habe geschluckt, und wenn es mir tatsächlich zu heftig geworden ist, kopfschüttelnd das Lehrer*innenzimmer verlassen. Zu Beginn fühlte ich mich zu jung, zu unerfahren, um auf Bemerkungen dieser Art zu reagieren. Ich war zu feig und bin es heute zum Teil auch noch. Lange habe ich mich damit begnügt, Menschen mit dieser Gesinnung aus dem Weg zu gehen, sie in Gedanken zu blockieren. Lange glaubte ich, es würde reichen, Menschen mit dieser Haltung zu verachten. Dann habe ich begonnen vorsichtig das Gespräch zu suchen. Ab und zu wurde ich lauter. Bewirkt hat das leider nicht viel. Außer der Tatsache, dass mich, so ich im Lehrer*innenzimmer bin, eisiges Schweigen umgibt. Die Kolleg*innen tauschen sich dann maximal über ihre kleinen Wehwehchen aus.

In Wahrheit helfen solche Tür-und-Angelgespräche gar nichts. Es ist an der Zeit, dass Rassismus an Schulen zur Chefsache und nicht mehr verschwiegen wird. Lehrer*innen, die sich in dieser Art äußern, brauchen Hilfe. Denn die Aussagen, die oft verharmlost werden, spiegeln eine eindeutige Haltung wider.

Und ich?

Ich lerne, dass ich mir Verbündete suchen muss. Gemeinsam steht es sich leichter auf. Und zum Glück gibt es überall, in jeder Schule, in jeder Fortbildung, Menschen, die meine Ansichten teilen.

Die Autorin ist Lehrerin an einer Mittelschule in Wien.


Für Betroffene von Rassismus oder Diskriminierung gibt es in Österreich mehrere Beratungsstellen, an die man sich wenden kann. Eine vollständige Liste wurde uns dankenswerterweise von der Initiative für ein diskriminierungsfreies Bildungswesen zur Verfügung gestellt.

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Was NMS Schüler*innen brauchen

Und? Was arbeitest du?“ „Ich bin Lehrerin.“ „Ah ja, Volksschule?“ „Nein!“ „AHS?“ „Nein, NMS!“ „Na, servas! Aber wärst du nicht in einer AHS deutlich besser aufgehoben? Also, du mit deinen Ideen und  deinem Engagement? Das ist doch wie Perlen vor die Säue werfen.

Dialoge dieser Art erlebe ich immer wieder. Nicht unbedingt im gleichen Wortlaut, aber die Kernaussage bleibt die gleiche. Je ausgewählter die Schüler*innen, desto besser müsse das Lehrpersonal sein, ist allem Anschein nach eine Meinung oder eine Haltung, die starken Anklang findet.  Die logische Schlussfolgerung daraus ist, dass es in der NMS reicht, wenn die Schüler*innen Mathematik und Deutsch lernen, alles andere wäre doch ohnehin überbewertet. Sie werden das doch später nie brauchen. Und die nächste Konsequenz daraus ist,  dass man dazu ja keine hochqualifizierten Lehrkräfte benötigen würde. Denn das bisschen Deutsch und Mathematik müsste doch jeder beherrschen, der selbst die Schule durchlaufen hat.

Was AHS-Schüler*innen brauchen

Bei den Schüler*innen der AHS verhält sich das natürlich anders. Diese brauchen jene Lehrkräfte, die perfekte Studienabschlüsse vorweisen können, höchste Qualifikationen sind gefragt. Schließlich unterrichten sie jene Schüler*innen, die einmal zur Bildungselite des Landes gehören sollen. Schließlich erwarten sich auch die Eltern, Schulbesuch sei Dank, dass aus ihren Kindern etwas ganz besonders wird. Und wem das zu viel ist, soll doch bitte dorthin gehen, wo eben das Niveau dementsprechend niedriger ist.

Was alle Schüler*innen brauchen

Prinzipiell hat jeder Schüler und jede Schülerin das Anrecht auf die bestmögliche Bildung. Diese sollte im Idealfall nur von jenen Menschen vermittelt werden, die bereit sind, viel in ihre Aus- und Fortbildung zu investieren. Lehrer*innen, die nicht auf der Stelle stehen und bereit sind ihr Berufsleben lang dazuzulernen. Jedes Kind und jede*r Jugendliche hat sich die besten und qualifiziertesten Lehrer*innen verdient. Da lässt sich kein Unterschied bezüglich irgendwelcher Schultypen festmachen. Ganz im Stillen denke ich mir, dass gerade diejenigen, die ganz wenig Unterstützung haben, ganz besonders gute Lehrer*innen brauchen.

Was NMS-Schüler*innen brauchen

Viele Schüler*innen anderer Schultypen haben das Glück, dass ihre Eltern sie unterstützen können. Sei es bei den Hausübungen oder  in vielen anderen Bereichen. Es ist nun mal bewiesen, dass der Bildungsstand vererbt wird. In diesen Elternhäusern ist es selbstverständlich, ein Theater oder eine Ausstellung zu besuchen oder ein breitgefächertes Freizeitangebot zu ermöglichen.

Bei unseren Schüler*innen sieht es anders aus. Nicht weil die Eltern kein Interesse an ihren Kindern haben, sondern weil sie die Unterstützung nicht bringen können. Also ist es an uns den Kindern und Jugendlichen all das zu bieten und zu vermitteln. Das sind wir unseren Schüler*innen in Hinblick auf deren Zukunft einfach schuldig.

Gerade jene Schüler*innen, die aufgrund ihres soziokulturellen Hintergrunds benachteiligt sind, sollten doch Anspruch auf die besten Schulen und die besten Lehrer*nnen haben.

Die Autorin ist Lehrerin an einer Mittelschule in Wien.

Lesezeit: 2 Minuten

Dass ich eine Klasse mit nur neun Schüler*innen unterrichte liegt an der besonderen Schulform: ZIS steht für Zentrum für Inklusion und Sonderpädagogik.

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