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Mein erstes Dienstjahr als Lehrerin liegt hinter mir, und ich kann rückblickend sagen, dass es eine intensive, aber auch unglaublich bereichernde Zeit war. Als Quereinsteigerin war mir von Anfang an bewusst, dass der Einstieg in den Lehrberuf eine große Herausforderung sein würde. Neben einer vollen Lehrverpflichtung mache ich parallel den Master für den Quereinstieg, was das Jahr noch einmal anspruchsvoller gemacht hat. Dennoch war alles machbar, und ich konnte mir weiterhin Raum für Freizeitaktivitäten schaffen.

Erwartungen vs. Realität

Als ich meinen neuen Weg als Lehrerin begann, hatte ich die Vorstellung, dass die ersten Monate extrem fordernd und zeitintensiv sein würden. Die Idee, kein „Leben“ außerhalb der Schule zu haben und meine Zeit in die Unterrichtsvorbereitung zu investieren, war zunächst belastend. Überraschenderweise war die Realität besser als meine Erwartungen. Obwohl es Phasen gab, in denen die Arbeit überwältigend erschien, hatte ich auch immer wieder Momente, in denen ich mir bewusst Zeit für mich nehmen konnte. Ich habe es geschafft, ein Gleichgewicht zwischen Beruf, Studium und meinem Privatleben zu finden. Meine Mentorin, die gleichzeitig auch meine Teamteaching-Partnerin war, war mir dabei eine große Stütze. Durch den Austausch und das gemeinsame Unterrichten konnte ich viel von ihrem Erfahrungsschatz lernen. Dieses „ins kalte Wasser geschmissen werden“ war somit weniger beängstigend, da ich auf ihre Hilfe zählen konnte. 

Betreuung und Kollegium

Ein weiterer Punkt, bei dem ich großes Glück hatte, war die Aufnahme im Kollegium, welches sich von Anfang an freundlich und hilfsbereit zeigte. Diese Erfahrung ist nicht selbstverständlich, wie ich von anderen Quereinsteiger*innen gehört habe, die oft das Gefühl haben, nicht willkommen zu sein und in das Schulteam nicht integriert werden. Bei mir war das zum Glück nicht der Fall. Mein Kollegium steht mir immer unterstützend zur Seite. Mit einigen Kolleg*innen konnte schnell eine gute Verbindung aufgebaut werden, sodass wir auch außerhalb der Schule etwas unternommen haben. Das soziale Miteinander hat mir den Einstieg wesentlich erleichtert.

Überraschungen und Herausforderungen

Eine der größten Überraschungen war das Leistungsniveau in einigen Klassen. Ich hatte nicht damit gerechnet, wie stark manche Schüler*innen in ihrer Konzentration und ihrem Arbeitstempo beeinträchtigt sind. Besonders in den Klassen, die durch die COVID-19-Krise stark betroffen waren, bemerkte ich ein deutliches Defizit in der Arbeitsweise und der Ausdauer. Diese Klassen stellen mich nach wie vor vor besondere Herausforderungen, da ich oft das Gefühl habe, dass der Unterricht nicht so voranschreitet, wie ich es mir wünsche.

Doch ich bin eine Person, die Herausforderungen liebt – und genau deshalb habe ich auch den Beruf gewechselt. Es war mir von Anfang an klar, dass der Lehrberuf nicht immer einfach ist und es Tage geben würde, an denen ich völlig erschöpft ins Bett falle. Tatsächlich gab es solche Tage, an denen ich das Gefühl hatte, dass einzelne Stunden oder Klassen mich körperlich und emotional stark fordern. Der Unterricht verlangt nicht nur Konzentration, sondern auch eine ständige Präsenz und Energie. Jede Klasse und jede Stunde ist anders – die Dynamik, die Aufmerksamkeitsspanne der Schüler*innen und ihre Reaktionen fordern einen in ganz unterschiedlichen Weisen. Nach einem Schultag merke ich oft, dass ich erschöpfter bin, als ich es nach einem langen Bürotag je war – das hätte ich so nicht erwartet. Diese Erschöpfung ist jedoch eine andere: Sie ist intensiver, aber auch mit mehr Sinnhaftigkeit und Erfüllung verbunden.

Ich habe gelernt, dass der Schlüssel zu erfolgreichem Unterricht oft in der Beziehung zu den Schüler*innen liegt. Ob im Sportunterricht oder in Mathematik – es geht nicht nur darum, Fachwissen zu vermitteln, sondern auch darum, die Schüler*innen sozial und emotional zu begleiten.

Rückblick und Ausblick

Trotz aller Herausforderungen überwiegt für mich das Positive. Es erfüllt mich mit Freude und Stolz, den Schüler*innen etwas beizubringen, sei es im Fachlichen oder im sozialen Miteinander. Jede kleine Entwicklung, die ich bei ihnen sehe, gibt mir das Gefühl, dass meine Arbeit wertvoll ist. Besonders schön ist es, Beziehungen zu den Schüler*innen aufzubauen und zu sehen, wie sie über das Jahr hinweg Vertrauen aufbauen und wachsen.

Meine Entscheidung, den Beruf zu wechseln, bereue ich keine Sekunde. Die Erfahrungen, die ich im ersten Jahr als Lehrerin gemacht habe, haben mir gezeigt, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Natürlich gibt es noch viel zu lernen und viele Herausforderungen, die vor mir liegen. Aber gerade diese Herausforderungen machen den Lehrberuf so spannend und abwechslungsreich.

Die Autorin ist Lehrerin an einer Wiener Mittelschule.

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Den Wunsch Lehrer zu werden, sehe ich als eine Art Berufung. Auch wenn sich dies jetzt komisch anhört, kann ich nur von meiner Erfahrung sprechen. Die Schule war für mich immer ein wunderbarer Ort. Ich konnte dort meine Freunde treffen, jeden Tag gab es Abwechslung und meine Neugier wurde gestillt. Ich hatte wirklich nette Lehrerinnen und Lehrer, die mich unterstützten und mir in allen Lebenslagen halfen. Es war ein Ort zum Wohlfühlen, zum Lernen, zum Wachsen und zum Erwachsen werden. Mein Wunsch Lehrer zu werden begann in der Oberstufe und wurde durch nichts ersetzt, es gab nur einen Weg für mich: das Lehramtsstudium zu absolvieren und Lehrer zu werden. Ich wollte zu einer von den Personen werden, die mich unterstütz, mir die Welt erklärt und mich vor allem zu dem gemacht hatten, was ich heute bin, zu einem gewissen Teil jedenfalls. Also zwei Fächer wählen, die man gerne unterrichten möchte und von denen man eine gewisse Ahnung hat, gepaart mit Pädagogik und ein paar Praktika und mein Traum in der Klasse zu stehen und Lehrer zu sein würde sich erfüllen. Dachte ich jedenfalls.

Fachwissen statt Pädagogik und Didaktik

Schnell erkannte ich, dass ich hier nicht das Unterrichten meiner Fächer lernen würde, sondern die Fächer selbst. Viele Germanistik-, Philosophie- und Psychologiestudierende waren in meinen Seminaren, und auf meine Frage, ob ich mich im richtigen Raum befand, nickte man nur und sagte, es sei normal, dass Lehramtsstudierende und reine Fachstudierende gemeinsam in einem Seminar sind. Nun gut, dachte ich mir, mehr Wissen kann mir ja nicht schaden, und ich hatte selbst großes Interesse an diesen Fächern. Doch schnell merkte ich, dass ich Dinge lernte, die ich in meinem Unterricht nie brauchen würde. Eines der schwierigsten Seminare war „Einführung in das Mittelhochdeutsche“. Ein ganzes Semester mühte ich mich durch diese Sprache, lernte Grammatik, Lesen und Sprechen. Der Aufwand wurde mit 3 ECTS belohnt, und ich fragte mich, wozu mir das nützen sollte, wenn ich vor einer Schulklasse stehe. 

Ausbildung nicht praxisrelevant

Das Studium gab mir leider nicht die nötige Ausbildung, die ich gebraucht hätte, was mir nach einem Jahr Arbeit an einer Mittelschule in Wien klar wurde. Bevor man jedoch in die Schule darf, muss man noch fünf Tage an der sogenannten Induktionsphase teilnehmen. Diese umfasst eine Einführung in Themenbereiche wie Recht, Strukturen des Schulwesens, Professionsbewusstsein und Kommunikation. Warum hat man solche Inhalte nicht ausführlich und während des Studiums vermittelt, anstatt sie in einem fünf Tage langen Schnellverfahren abzuhandeln? Dann ging es los in die Schule, und plötzlich passierten tausend Dinge gleichzeitig. Ich erfuhr, dass ich Co-Klassenvorstand (Co-KV) einer Klasse werde – aber was ist ein Co-KV? Ich kannte nur den Klassenvorstand. Außerdem sollte ich in eine I-Klasse kommen. Was ist eine I-Klasse? Und natürlich hatte ich auch noch einen AO-Schüler in meiner Klasse. Was bitte sind AO-Kinder? Meine wenigen Vorlesungen und Seminare in Pädagogik hatten mir darüber nichts erzählt. Doch als ein Kind auf mich zukam und mir zwei Wörter sagte, wusste ich, was gemeint war: „Arabisch, Toilette.“ 

Fächer und Fachbegriffe

Ich hatte auch sechs Integrationskinder in der Klasse. Also durfte ich Unterricht planen – für ein AO-Kind, das nur zwei Wörter Deutsch sprach und mich nicht verstand. Gleichzeitig musste ich für die I-Kinder planen, die ihre eigenen individuellen Schwächen hatten. Ohne die Unterstützung der I-Lehrerin wäre ich überfordert gewesen. Ach ja, und natürlich gab es den anderen Unterricht auch noch. Insgesamt hatte ich drei verschiedene Unterrichtspläne zu erstellen. Da es keine Psychologie oder Philosophie in der Unterstufe gibt, unterrichtete ich außerdem Textiles Werken, Bildnerische Erziehung, Soziales Lernen sowie Lern- und Betreuungszeit. Nicht nur weil ich an einer verschränkten Ganztagsschule arbeite, gehören auch solche Aufgaben zu meinem Alltag.

So viele Fragen

Mein Jahr begann mit vielen Fragen, und ich war froh, ein nettes und hilfsbereites Kollegium zu haben, denn es tauchten ständig neue Fragen auf. Doch ich konnte mich nicht immer auf diese Fragen konzentrieren, weil ich gleichzeitig unterrichten musste. Obwohl ich einige Praktika absolviert hatte und versucht hatte, so viel Praxiserfahrung wie möglich zu sammeln, fühlte ich mich auf das, was mich erwartete, nicht vorbereitet. In meinen ersten Wochen hatte ich den Eindruck, dass es nur verhaltensauffällige Kinder in meiner Klasse gab.  Die Schüler schienen das Konzept von Unterricht nicht verstanden zu haben: Sie standen mitten im Unterricht auf, waren laut und lenkten sich gegenseitig ab. Es wirkte, als hätten manche von ihnen noch nie eine Schule besucht.

Kontrolle und Konsequenzen

Zuerst musste ich die Klassen unter Kontrolle bringen und ihnen die grundlegenden Verhaltensregeln beibringen, bevor an Unterricht überhaupt zu denken war. Es folgte viel Erziehungsarbeit, bei der ich mir Unterstützung von Expertinnen und Experten und dem Kollegium holte. Ein langer Weg lag vor mir: Elterngespräche – worüber an der Universität nie gesprochen wurde –, Konsequenzen setzen und Beziehungsarbeit. Einer der größten Kämpfe war das Smartphone, an dem die Kinder regelrecht klebten. Zielsetzungen waren ein Schlüssel für guten Unterricht, denn viele der Kinder wussten nicht, warum sie überhaupt in der Schule waren oder warum sie etwas lernen sollten. Viele träumten davon, Influencer, Profifußballspieler, Youtuber oder Rapper zu werden. Als diese Illusion der Realität weichen musste und die Kinder erkannten, dass ihre Chancen auf diese Berufe nicht sehr groß waren, war das ein Schock für sie. Doch genau dafür kämpfe ich: für Chancengerechtigkeit, für Bildung und dafür, dass jedes Kind seine Ziele erreichen kann – realistische Ziele. Mein Traum als Lehrer ist in Erfüllung gegangen, und auch wenn die andere Seite der Klasse viel mehr Nerven und Geduld benötigt als gedacht, bin ich froh, diesen Weg gegangen zu sein. Kein Job könnte mir mehr Sinnhaftigkeit, Erfüllung und Spaß bereiten, als mit Schülerinnen und Schülern zu lernen die Welt zu verstehen, menschlich eine Beziehung aufzubauen und die Gesellschaft etwas besser zu machen.

Michael Murauer, Lehrer an einer Wiener Mittelschule.