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Das Ende des Schuljahres ist nahe. Das erkennen wir zum einen daran, dass wir alle, Schüler:innen und Kolleg:innen, schon ein bisschen ausgelaugt sind. Zum anderen daran, dass wieder vermehrt Lehrausgänge gemacht werden. Ich persönlich finde das perfekt, weil Schule viel mehr als nur in der Klasse sitzen und lernen ist. Die Kinder und Jugendlichen kommen endlich aus ihrer vertrauten Hood raus. Lernen Wien und die Umgebung kennen. Stellen fest, dass Niederösterreich gar nicht so weit weg von Wien ist. Dass sie auch mitten in Wien in den Wald gehen können. Dass ein Museumsbesuch zwar langweilig klingt, aber gar nicht so übel ist. Allerdings hat die Sache in meinen Augen einen Haken.

Bitte geben Sie ihrem Kind 30 Euro mit!

Die Aufforderung stand in einer Klasse an der Tafel. Ein Ausflug nach Krems soll stattfinden, ganz traditionell mit dem Schiff und der Bahn. In Schoolfox wird diese Botschaft noch mit dem Hinweis ergänzt, dass es sich um Pflichtveranstaltung handelt. Wer an diesem Tag fehlt, muss eine ärztliche Bestätigung vorlegen.

Mir verschlägt es mal kurz die Sprache. Zusätzlich zu dem besagten Ausflug muss die Klassenfahrt im Juni bezahlt werden und in Biologie noch der Eintritt ins Haus des Meeres an die Kollegin abgeliefert werden.

In Zeiten der Inflation und der zunehmenden Verarmung der Mittelschicht erscheinen mir diese Beträge utopisch. Meine Sprache finde ich bald wieder, aber der Gedanke, dass manche Kolleg:innen kaum Bodenhaftung besitzen, will nicht aus meinem Kopf raus. Wie abgehoben muss jemand sein, der genau in diesen Zeiten teure Ausflüge und Exkursionen plant?

Prekäre Verhältnisse

Das Problem, dass dauernd Geld von den Eltern eingefordert wird, gibt es nicht seit diesem Jahr. Der ohnehin teure Schulstart wird noch teurer, weil Geld in die Klassenkasse eingezahlt werden muss. Weil die Klasse dann noch das JÖ-Heft und andere scheinbar unentbehrliche Dinge braucht. Zu den 20 Euro für das  besagte Heft wird den Eltern noch eine freiwillige Spende an das Jugendrotkreuz verordnet. Ja, die Inhalte sind informativ, aber ist es nicht auch so, dass im Internet ganz umsonst Begleitmaterial zum Unterricht gefunden werden kann? Ist es nicht auch so, dass unsere Eltern eher Spenden brauchen würden? Unsere Schüler:innen wachsen größtenteils in prekären Verhältnissen auf. Ein oder zwei Euro für einen wohltätigen Verein mögen uns Lehrer:innen wenig erscheinen. Für manche Familien ist das das Geld für zwei Laib Brot. 

Geh bitte! Die haben genug Geld

Wenn ich jedes Mal, wenn ich diesen Satz höre, 50 Cent von den Kolleg:innen verlangte, dann hätte ich meine Urlaubskasse schon gut aufgepeppt. Ähnlich verhält es sich mit Aussagen wie:

Geh bitte! Die teuren Sportschuhe trägt er oder sie aber auch.

Geh bitte! XY hat schon wieder ein neues Handy.

Geh bitte! Der hat jeden Tag eine Jause vom Supermarkt.

Und wie immer, schon fast gebetsmühlenartig, antworte ich, dass Schuhe und Handy gesellschaftliche Teilhabe bedeuten. Dass ich mir ganz sicher bin, dass die tägliche Jause aus dem Supermarkt nicht so exklusiv ist, wie es scheint. Eine trockene Semmel und eine Dose Aufstrich, die vielleicht auch von zuhause kommt, stellen keine Beweise für versteckten Reichtum dar. Mir ist auch bekannt, dass die meisten unserer Kinder und Jugendlichen genau ein Paar Schuhe haben, Sommer wie Winter, und diese tragen, bis sie ihnen vom Leib fallen. Zusätzlich habe ich die Information, dass viele ihre Schuhe auf Secondhand-Plattformen kaufen. Weil eines wollen sie gar nicht: arm aussehen. Mal abgesehen davon, dass wir immer noch  Schüler:innen haben, die weder Handy noch Markenkleidung besitzen.

Wer sich das nicht leisten kann

Das Tüpfelchen auf dem I sind dann jene Kolleg:innen, die vor der Klasse denen, die sich das nicht leisten können, Unterstützung anbieten. Die wundern sich dann noch, weil sich niemand auf dieses Angebot hin meldet. Ich bin selbst in prekären Verhältnissen groß geworden. Nie im Leben hätte ich mich vor der ganzen Klasse geoutet. Nein, das ist kein gut gemeintes Angebot, sondern der absolute Mangel an Empathie. Und zur Sache mit der ärztlichen Bestätigung fällt mir noch ein, dass ich mir die beim Arzt erkämpfen würde, sollte ich in der prekären Lage unserer Eltern sein. 

Auch nicht viel besser war die Aussage eines Kollegen, der meinte, dass die Schüler:innen, die noch keinen Eintritt wofür auch immer bezahlt haben, dann eben die Ausstellung nicht besuchen können.  Dass sie im Foyer einen Arbeitsauftrag erfüllen müssten. Wie jetzt? Bestrafen wir jetzt schon Kinder und Jugendliche, weil sich die Eltern 9 Euro nicht leisten können?

Besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen (Erich Kästner)

Wenn ohnehin schon bekannt ist, dass viele Familien finanzielle Probleme haben, warum findet nicht endlich ein Umdenken statt? In Wien ist die Liste der Museen, in denen alle Menschen bis 18 gratis hineinkommen, lang. Muss es dann wirklich noch eine Führung um sechs Euro geben? Oder könnte sich die Lehrperson nicht an einem Wochenende vorbereiten und selbst zur Ausstellung etwas erzählen? Muss es besonders in Zeiten des Klimawandels wirklich der Bus sein, der alle von A nach B bringt? Ist es wirklich dringend notwendig, in das teure Haus des Meeres zu gehen?

Dazu könnten sich die Kolleg:innen auch ein bisschen umhören. So gibt es im Dschungel-Theater die Kulturpatenschaften. Vor dem Besuch einer Vorstellung haben Kolleg:innen die Möglichkeit bekannt zu geben, wie viel eine Klasse bezahlen könnte. Alles ganz unbürokratisch, einfach weil die Leitung des Theaters der Meinung ist, dass junge Menschen ein Anrecht auf Kultur haben.

Sind Klassenfahrten in Zeiten der Inflation wirklich notwendig? Würde nicht eine Projektwoche in Wien und Umgebung mit kostenlosen Tagesausflügen genauso gut für das Klassengefüge sein? Besonders auch unter dem Aspekt, dass unsere Schüler:innen selten Einzelkinder sind.

Falsche Umverteilung

So toll es ist, wenn Klassen für die ganze Schule ein Buffet anbieten um ihre Klassenfahrt finanzieren zu können, wäre auch in dieser Situation Nachdenken angebracht. Denn letztendlich wird dann eine Klassenfahrt von all jenen Schüler:innen mitfinanziert, die beim Buffett einkaufen. Oder die Eltern, die das Geld für sich bräuchten, backen Kuchen, um den Nachwuchs nicht in Schwierigkeiten zu bringen. Streng genommen ist dieser Ansatz der Finanzierung gut gemeint, aber nicht durchdacht. 

Aber müssen wir auf alles verzichten?

Auf der anderen Seite sind Klassenfahrten, besonders ins oft unerschwingliche Ausland, eine unglaubliche Möglichkeit für unsere Kinder, das Meer mal von der Urlaubsseite aus zu betrachten. Selfies am Strand, dem Modesport SUPping einen Begriff zuordnen, andere Kinder kennenlernen und andere Sprachen hören als die in der Schule. Wen nehmen wir hier in die Verantwortung? Wie schaffen wir den Spagat zwischen gesellschaftlicher Teilhabe und gerechter Finanzierung? Ja, es gibt Angebote zur Unterstützung. Viele unserer Kinder können diese aber entweder wegen sprachlichen Barrieren nicht beantragen oder aber haben sie einfach nicht den Status, um die erforderlichen Dokumente nachzuweisen. 

Doch an was erinnern wir uns wirklich aus unserer Schulzeit? Meistens doch an die Ausflüge, an das Andere, an die Abenteuer, die nicht im Klassenzimmer stattgefunden haben. Wir brauchen also eine niederschwellige und schnelle Unterstützung für Aktivitäten dieser Art, damit die Kinder aus sozialschwachen Familien nicht auch noch hier benachteiligt werden. 

Die Autorin ist Lehrerin an einer Mittelschule in Wien.

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Neuer Tag, neues Glück denke ich mir, als ich durch das Schultor trete. Ich gehe direkt ins Lehrer:innenzimmer, der kleinen paradiesischen Insel mitten im stressigen Schulalltag – sollte man meinen – und lausche einem Gespräch zwischen zwei Kolleginnen.  „Und stell dir vor, besitzt der doch tatsächlich die Frechheit, nicht mal zu grüßen. Wo kommen wir da hin?“ „Ja, die Kinder werden immer frecher, nicht mal die normalsten Dinge kann man mehr erwarten“, folgt sogleich die Erwiderung. Noch etwas müde höre ich zu und mein noch nicht ganz einsatzfähiges Gehirn versucht zu erkennen, was gerade das Problem ist. Ah, M. war anscheinend kurze Augenblicke davor an meiner Kollegin vorbeigegangen, ohne guten Morgen zu sagen, was ihm offenbar als Kapitalverbrechen angerechnet und als absolute Verrohung der Jugend gewertet wird. 

„Vielleicht war er einfach noch müde?!“, merke ich an. „Tz, müde, der hat mich direkt angeschaut und ist einfach weitergegangen.“ Ein Gedanke schießt mir ein und mein immer noch schläfriges Gehirn gibt leider zu schnell die Freigabe zu sprechen: „Wenn es dir so wichtig ist, hättest du doch auch zuerst grüßen können.“ Stille, gespenstische Stille. 

Okay, großer Fehler, bemerke ich schnell, als ich die entsetzten Blicke meines Gegenübers spüre. Zuerst grüßen, einen Schüler, geht anscheinend gar nicht. Schnell verzupfe ich mich, die bohrenden Blicke meiner Kolleginnen im Rücken und gehe in meine Klasse. 

Das Gespräch beschäftigt mich weiterhin. Ich habe nie darüber nachgedacht, dass es eine gottgegebene „Grüßordnung“ gibt, dass es unabdingbar ist, dass meine Schüler:innen mich zuerst grüßen müssen. Oft kommt mir ein freudiges „Guten Morgen“ schon von Weitem entgegen, manchmal grüße ich einfach zuerst, weil mich das Kind nicht gesehen hat und manchmal gibt es auch Situationen, in denen ich eine freundliche Begrüßung von mir gebe, aber überhaupt nichts zurückkommt. Ich habe nie hinterfragt, dass das eine böse Absicht oder gar Respektlosigkeit sein könnte. Meine Gedanken zu dem Thema werden durch das Läuten gestoppt, der Tag beginnt. 

„Du bist doch schon was. Du bist Türke.“

Wir haben einen Workshop zum Thema Rassismus und Mehrsprachigkeit. Ein sehr wichtiges Thema wie ich finde, gerade bei unseren Kindern, die mit ihren 13-14 Jahren schon unzählige rassistische Erfahrungen in ihrem Alltag machen mussten. In ihrem Alltag, so dachte ich bis jetzt, also nach der Schule, in ihrer Freizeit. Nach und nach kommen aber auch Geschichten aus der Schule ans Licht. 

Der Workshopleiter erklärt den Unterschied zwischen Rassismus und rassistischen Äußerungen, erklärt, dass jeder von uns sich rassistisch äußern kann und noch lange kein Rassist sein muss. Meine Schüler:innen nennen keine Namen und ich merke wie ich mich verkrampfe, weil ich Angst habe, dass auch mir vielleicht einmal eine rassistische Äußerung herausgerutscht sein könnte. Die Kinder hören gespannt zu, immer wieder kommen Geschichten von ihnen. „Meine Volksschullehrerin hat mich damals die Schulordnung schreiben lassen, weil ich mit meiner Freundin auf Türkisch geredet habe“, erzählt I. „Zu mir hat mal ein Lehrer gesagt, dass so wie ich Deutsch rede, nie was aus mir wird. Geht gar nicht!“ „Aber du bist doch schon was, du bist Türke Bro!“ Der Bro lächelt stolz. 

Bei all den Erzählungen spüre ich ein drückendes Gefühl auf der Brust. Wie klein sie sich oft fühlen müssen, wie verletzend Sprache sein kann, gerade von uns als Lehrpersonen. Eine unbedachte Äußerung, die beim Gegenüber aber tiefe Spuren hinterlässt. 

Ich biete an, den Workshop zu verlassen, damit die Kinder wirklich frei erzählen können und warte vor der Türe. Während der Wartezeit denke ich an Dinge, die ich zu den Kindern gesagt habe, Dinge, die vielleicht nicht mal böse gemeint waren, aber verletzend ankommen könnten und beschließe, zukünftig noch mehr darauf zu achten, was meine Worte bewirken können. Während mein perfektionistisches Ich mich innerlich zum Scheiterhaufen für Lehrpersonen führt, läutet es und die Kinder stürmen aus der Klasse. Einige setzen sich zu mir und erzählen vom Workshop. 

Mein schlechtes Gewissen bedrückt mich. „Kinder, tut mir leid, wenn ich auch schon mal etwas gesagt habe, dass euch verletzt hat. Ich hoffe ihr wisst, dass das nicht mit Absicht war.“ 

„Machst du eh nicht Frau Lehra. Dir sagen wir es eh gleich.“ „Haha, ja, bei dir geht das.“ „Ja, so wie das eine Mal, da haben Sie gesagt ich bin eine Zicke – geht gar nicht. Aber ich bin eh nicht mehr böse.“ Puh, Glück gehabt, denke ich, mein Lehrer-Ich hat also doch nicht vollständig versagt. 

Danke, aber wofür eigentlich?

Nach vier Stunden ist der Workshop aus und ich setze mich für eine kurze Nachbesprechung mit dem Workshopleiter K. zusammen. „War ein guter Vormittag. Anstrengend, aber gut.“ Ich muss grinsen, ja anstrengend ist es hier immer, aber immerhin haben alle überlebt, niemand hat sich umgebracht und sie haben sogar motiviert mitgemacht, in meiner Welt ist das ein voller Erfolg. 

„Ich wollte dir noch etwas sagen. Sie respektieren dich sehr, das merkt man und du sie auch“, sagt K. „Ja, diesen Respekt spür ich eh immer wieder, wenn sie machen, was sie wollen“, erwidere ich – allerdings lächelnd. „Nein im ernst! Danke, dass du so zu ihnen bist.“ 

Gerührt aber auch irgendwie irritiert schaue ich K. an. Danke? Aber wofür? Das ist doch mein Job. Ein Job, bei dem ich die meiste Zeit das Gefühl habe, dass ich ihn nicht mal besonders gut mache und nur irgendwie den Alltag überlebe. Ein Job, der mich tagtäglich an meine Grenzen bringt, bei dem regelmäßig Dinge vor meinen Füßen landen, die durch die Klasse geflogen kommen, ein Job, bei dem ich tagtäglich Regeln einfordere, damit sie am nächsten Tag wieder vergessen werden. Aber auch ein Job, der einem tolle Momente mit jungen Menschen beschert. Respektvoller Umgang? Ein Muss meiner Meinung nach, denn wenn nicht wir, wer dann soll es den Schüler:innen vorleben. Es ist okay für mich, meine Schüler:innen zuerst zu grüßen, weil sie es vielleicht an diesem Tag nicht können, weil sie vielleicht müde sind, in Gedanken versunken oder irgendwelche Sorgen haben. Es ist okay für mich, wenn mal eine pampige Antwort kommt, weil er oder sie in der Situation vielleicht nicht anders aus kann. Es ist okay für mich, wenn meine Schüler:innen in ihrer Erstsprache, ihrer für mich Herzenssprache, miteinander sprechen, weil sie sich so vielleicht wohler fühlen. Genau solche Situationen sind es über die man dann sprechen, sie nächstes Mal besser oder anders machen und aus ihnen lernen kann und genau dafür ist doch Schule da, zum Lernen. 

Meine Schüler:innen verlassen freudig das Schulhaus. „Schönen Nachmittag!“, rufe ich ihnen nach. „Tschüüüüüß Frau Lehra!“, tönt es zurück. 

Und ich muss lächeln. Nein, es stört mich nicht, mich zuerst zu verabschieden, denn Respekt ist keine Einbahnstraße. Respekt ist nichts, das wir Lehrpersonen einfach so bekommen, sondern das wir auch zurückgeben müssen. Respekt ist auch nichts, das sich Kinder und Jugendliche erst verdienen müssen, denn jeder Mensch, egal wie alt, egal welcher Herkunft hat Respekt verdient und wenn meine Schüler:innen das in den vier Jahren bei mir lernen, dann habe ich vielleicht doch nicht alles falsch gemacht. 

Die Autorin ist Lehrerin an einer Mittelschule in Wien

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Stellen wir uns das Schulsystem mal als einen riesigen Ozeandampfer vor. Kein Kreuzfahrtschiff, nein, keine Disko, kein Pool, keine Klaviermusik. Eher so ein Teil, das kürzlich im Suezkanal steckte. Riesig, zu wenig Personal, teilweise unmanövrierfähig. 

Stellen wir uns vor, das Ding bricht gerade auseinander. Die wenigen Lehrer:innen, Sozialarbeiter:innen und Psychagog:innen, die noch nicht im Corona-Hafen festsitzen, paddeln mit kleinen hölzernen Booten und den viel zu wenigen Rettungswesten herum.

Der Steuermann hält sich krampfhaft am Lenkrad fest, hat jedoch jedweden Funkkontakt zur Besatzung verloren. Noch hat er nicht gemerkt, dass die Kommunikation schon längst abgebrochen ist. 

Die Kapitänin liegt aufgrund eines unglücklichen Zwischenfalls auf der Krankenstation im dritten Unterdeck und hält sich mit Rum über Wasser. 

Da wäre noch der Stellvertreter der Kapitänin. Dieser brüllt mit Hilfe eines Megaphons Befehle in den Wind, die selbiger gnadenlos verschluckt. Kurze Windstille. Endlich kann die Mannschaft seine Befehle verstehen. Doch wenn die Wellen fast über den Köpfen der Kolleg:innen zusammenschlagen, ist das Tragen von Hausschuhen eher Nebensache. 

Einige Kolleg:innen haben sich mit flotten Kayaks ausgestattet und behindern die Rettungsmanöver. Als wäre das nicht schon genug, erzeugen sie weitere Hindernisse und Zusammenstöße. Auf diese Weise kann keine Ruhe einkehren. Besonders weil man schon von hinten das bedrohliche Rauschen der sechsten Coronawelle hören kann. Dabei muss doch noch die jetzige Welle bewältigt werden, zumindest irgendwie. Das Treibholz und die Container mit schlechten Nachrichten aus der Ukraine, unbewältigten Traumata und bösen Vorahnungen trudeln als ständige Bedrohung um das Schiff.

Von vorne weht der Wind der Teuerungen und Inflation, der unsere Schüler:innen zu neuen Ufern schickt, neue Unterkünfte müssen gesucht werden, unbezahlbare Rechnungen wehen hoffnungslos an gebrochenen Masten. Sechs Euro für einen Kinobesuch an Land werden für viele Eltern zur Herausforderung. Dann bleibt das Kind lieber am sinkenden Schiff oder darf nicht mitkommen.

Der strahlende Ramadan bedarf Aufmerksamkeit und Achtsamkeit im positiven Sinn. Wird aber von vielen Kolleg:innen in den Kayaks als zusätzlicher Ballast wahrgenommen und konterkariert. Die von engagierten Kolleg:innen in zahlreichen Unterrichtsstunden ausgehändigten Rettungswesten, die kaum ein:e Schüler:in ablehnt, werden auf diese Art zu löchrigen nahezu unbrauchbaren Hilfsmitteln. So kann sich niemand über Wasser halten. Den Kanuten ist das egal. Alle könne man nicht vor dem Untergang retten. Dann müssten eben die nicht-angepassten Schüler:innen das Boot verlassen. Wenn sie Glück haben, werden sie in der Nähe des Ufers ausgesetzt. Ansonsten müssen sie  eben schauen, wie sie mit den löchrigen Rettungswesten in den nächsten Hafen schwimmen können.

Das Boot steckt fest, endgültig. Das Treibholz, die Container und die Kayaks haben es zum Stillstand gebracht. Nur ein kleiner Teil der Mannschaft will die Weiterfahrt um jeden Preis. Es könnte ja sein, dass im nächsten Hafen alles besser wird. Es sind jene, die verstanden haben, dass Jammern wenig Sinn macht. Sie kleben die Rettungswesten, reden den Systemsprenger:innen gut zu und versuchen die Kanuten irgendwie wieder an Bord zu holen. Wo ist die versprochenen Verstärkung, die am Hauptschiff mitanpackt? Dann hätten die, die schon seit Wochen durcharbeiten wieder ein bisschen Luft und eine kleine Pause. Alle werden nie in einem Boot sitzen. Wenn nur der Steuermann das Loch in der Funkverbindung findet und zuhören kann, welche Sorgen und Ängste seine Mannschaft haben. Wenn nur die Kolleg:innen den Coronahafen verlassen könnten.

An den Ufern sitzen staunenden Zuschauer und kommentieren fleißig das Geschehen im Standard-Forum. Alle wissen alles besser und die faulen Lehrer:innen, die da draußen um nackte Überleben paddeln, werden beschimpft, geschasst und milde belächelt, denn die wenigen Stunden die die da rumpaddeln, das hätten wir ja mit links geschafft. Hört’s auf zum Jammern. Ihr habt’s ja eh bald Ferien. 

Ferien ? Ja. Wo? Wo ist die Insel, die winzig kleine Osterinsel, die schon irgendwo aus den Weiten des Ozeans aufragt? Ein Moment der Entspannung – wenn keine Schularbeiten zu korrigieren sind – ein Moment zum Durchschnaufen, wenn es nicht bei einem Schüler wieder brennt, weil die Freundin schwanger ist oder bei einer Schülerin, weil die Mama mit ihren Depressionen nicht mehr aufstehen kann und sie sich um die kleinen Geschwister kümmern muss und sich deswegen nicht mehr um sich selber kümmern kann – oder ein Moment des Loslassen, wenn nicht neue Schüler:innen aus der Ukraine kommen, die dringend Mika-D getestet werden müssen und die Kapazitäten der Deutschförderklasse ausgeweitet werden müssen. 

Naja, wir werden sehen. Sollen wir je dort ankommen. 

P.S. Eigentlich hätte an dieser Stelle ein schöner Text stehen sollen, ein Text darüber, wie schön, wie rewarding, wie vielseitig der Lehrberuf ist. Ein Text, der es vermag, die wirklich guten und engagierten Menschen für diesen Beruf zu begeistern. 

Aber wir haben es nicht geschafft. Es hätte in dieser Zeit einfach nur höhnisch gewirkt…

Die Autorinnen sind Lehrerinnen an einer Wiener Mittelschule

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Corona nervt! Das lässt sich wohl aus allen verfassten Texten herauslesen. Manche sind geimpft, manche nicht, manche finden eine Impfpflicht gut, andere weniger, viele sind dennoch geimpft. Doch sind die meisten von ihnen der Meinung, dass es nichts gebracht habe. Es wurde ihnen versprochen, dass sie dann keinen Lockdown mehr haben werden, keine Masken, kein Testen. Tatsächlich hat sich das Leben von allen verschlechtert.

Keiner geht mehr raus, nicht ins Kino, kein Treffen mit Freunden. Zu viele haben schon bezahlt, weil sie zu wenig Abstand hielten, keine Masken trugen oder keinen gültigen PCR Test hatten, um etwas einzukaufen oder irgendwo was zu essen. 

Corona nervt. 

Ja! Die Mittelschüler und Mittelschülerinnen trifft es besonders hart. Viele haben vier und mehr Geschwister, viele wohnen in sehr engen Wohnverhältnissen. Durch das Ansteigen der Betriebskosten hat sich diese Situation verschärft. Etliche unserer SchülerInnen mussten umziehen. Sie haben jetzt einen längeren Schulweg. Mehr öffentliche Verkehrsmittel, noch mehr Möglichkeit sich anzustecken. Und wenn nicht sie, dann die Eltern in ihren systemrelevanten Jobs als Reinigungskraft, Pflegepersonal und/oder im Lager. „Die Arbeit meiner Eltern ist schwerer geworden!“, sagt Maria. Auch Pia stöhnt: „Wir sind alle zweimal geimpft – wir hatten alle schon Corona. Früher hatte ich Angst, jetzt habe ich keine Angst mehr. Ich möchte keinen Masken mehr tragen. Ich möchte auch nicht mehr täglich testen. Es kostet sehr viel Zeit in der Schule.!“

David hat Angst etwas anzugreifen, seinen Freunden nah zu sein. Tanja klagt, sie bekäme von der Maske Pickel. Klaus ist sich sicher, dass Corona, also zumindest die Delta und die Omikron Variante nur Erfindungen der Regierungen seien, damit die Menschen Angst hätten. Denn Angst bekäme man vor allem vor dem Unbekannten, Unsichtbaren. Er glaubt, dass die Regierung diese zur Manipulation der Menschen ins Leben gerufen hätten. 

Hannah hat Angst um ihre fünf kleinen Geschwister. Sie wäre seit Jahren zuhause eingesperrt, nichts sei mehr lustig. Man gehe nicht mehr gemeinsam raus, denn dass alle Familienmitglieder gleichzeitig einen gültigen PCR Test hätten, sei ein Ding der Unmöglichkeit. 

Fast alle Geimpften hatten auf ein Ende der Masken gehofft. Auf ein Ende des Testens. 

„Frau Lehrerin, lügen die uns an?“

„Aus meiner Familie hatten schon alle COVID“, schreibt Daniel, „ich finde, sie sollten die Schulen gleich schließen und uns nicht dauernd nach Hause schicken.“ „Und schon zweimal durfte ich nicht in die Schule, weil ich keinen gültigen PCR Test hatte. Das nervt!“

„Ich möchte Frieden und Ruhe! Die Medien machen die Welt verrückt!“ konstatiert Jens. „Ich hoffe, das hört dieses Jahr auf!“

Ja ständige positive Test in der Klasse, die Unklarheit, ob ein Schultag, eine Schulwoche „normal“ zu Ende geführt werden können. Solbad die Lehrkraft sagt: „So, und jetzt packen wir alle Sachen ein!“ Die Angst im Nacken – werden wir schon wieder nach Hause geschickt?

Paul meint: „Homeschooling macht mir nichts, da bin ich eh brav!“, aber viel lenke ihn zuhause ab. Die kleinen Geschwister, das Handy in Griffweite, die Mama in der Küche…

Informationen bekämen sie von TikTok, also alle. Oder eben aus dem Internet. Manchmal auch aus der Kronenzeitung. Aber TikTok erklärt eh alles. Und ja, Corona hat das Leben verändert: Die Erschöpfung der Bevölkerung, das seelische Verhalten. Alles sei halt ein bissi schwerer geworden. 

Corona NERVT!

Corona NERVT! Das ist auch der Grundtenor an einer Wiener HAK. Viele sind von der oft widersprüchlichen Kommunikation der Politik frustriert. Können die Inkonsistenz der verlautbarten Regelungen nicht nachvollziehen. Dennoch: Mittlerweile ist die überwiegende Mehrheit der befragten Schüler*innen geimpft. Sie stehen der Impfung positiv – „sie schützt mich vor schwerem Verlauf“ – bis pragmatisch – „ich wollte wieder Freund*innen treffen“ – gegenüber. Einige führten Solidarität als Beweggrund an. Andere nannten ihre Eltern als maßgeblichen Einflussfaktor.

Nur wenige sind nicht geimpft. Hier sind es die Eltern und Geschwister häufig auch nicht. Sie sehen die Impfung skeptisch; wollen lieber abwarten, haben noch Ängste wegen möglicher Nebenwirkungen. Eine will sich erst impfen lassen, wenn es „notwendig“ ist, eine weitere erst, wenn es „Pflicht“ werde. Andere wiederum führen die Angst ihrer Eltern oder deren Impfaversion an.

Aber: Corona nervt! Viele nervt das Thema. Es nervt sie, tagtäglich mit News rund um Corona konfrontiert zu werden. Neue Bestimmungen, neue Verbote, neue Einschränkungen. Lockerungen folgen Einschränkungen folgen Lockerungen folgen – Sie wissen, wie es weiter geht. Einige haben das Thema satt. Sie wollen nicht mehr darüber reden, vermeiden es „so gut wie möglich“ darüber zu sprechen. Eine dazu: „Mir ist es egal geworden“, sie habe sich an die „Pandemie/Situation gewöhnt“.

Andere wiederum beschäftigen sich intensiv damit. Diskutieren in den Familien und halten sich gegenseitig am Laufenden. Manche über die Vorteile der Impfung, andere nur über „die Nachteile der Impfung“. Als Quelle dient ihnen häufig Insta und TikTok. Der ORF wird auch immer wieder genannt. Ob wegen „sozialer Erwünschtheit“ oder seinem neuen TikTok-Kanal bleibt hier unbeantwortet.

Corona nervt!

 Es nervt, weil Freund*innen erkranken und nicht getroffen werden können. Es nervt auch, weil es eine weitere Sorge um Angehörige und Verwandte darstellt. Viele kennen zumindest eine Person, die an Corona erkrankt ist. Davon hatten die meisten – zum Glück – einen leichten Verlauf. Einer erwähnt seinen Vater, der unter Long Covid leide; eine ihre Tante, die einen schweren Verlauf mit Hospitalisierung hinter sich habe. Manche waren selbst schon Corona positiv. Eine schon zweimal: Delta und Omikron, trotz Impfung. „Überall gekostet“, scherzt sie müde.

Die Demos gegen Corona-Maßnahmen halten die meisten für „unnötig“, sie „bringen nichts“ und würden nur zu „mehr Ansteckungen“ führen. Sie sollten sich „lieber an die Ordnungen“ halten. Trotz dieses Hangs zur Ordnung wird demonstrieren für viele als gut und richtig angesehen. Seine Meinung öffentlich kundzutun, wird als wichtig erachtet: „Meinungsfreiheit“ sei wichtig, genauso wie das „Recht auf ein freies Leben“. Jedoch wird ihr Effekt für Veränderungen als kaum existent eingeschätzt. Vielleicht liegt das auch an dem gerade erst mit massivem Polizei-Einsatz geräumten Protest-Camp.

Ein anderer wiederum schreibt, dass Freunde auf die Demo gingen, sie seien gegen die Impflicht und sähen die Maßnahmen der Regierung als „unnötig“ an.

Corona nervt, voll hart! 

Besonders tangiert die Jugendlichen Corona in ihrem Sozialleben. Eine fühle sich nicht mehr „frei“. Eine betont, „Jugendliche wollen ihre Freiheit und ihren Spaß“ – wer kann dem nicht zustimmen? Keine*r sagt, es hätte sich nichts verändert. Viele klagen über Verlust von sozialen Kontakten. Vereinsamung. Vermisste Partys. Regelmäßige Treffen und Unternehmungen seien unmöglich bis eingeschränkt. Das Maskentragen nerve. Man kenne kaum noch die Gesichter der Freund*innen. Zudem sei die Haut vom vielen Tragen irritiert. Oftmals wird sie auch zu Hause vergessen und dann stünde man „blöd“ da.

Bei einigen seien die Eltern „ständig“ zuhause. Einige wegen Jobverlust. Andere wegen Homeoffice. Allemal nerve ihre ständige Anwesenheit. Es fehlten Rückzugsorte. Privates. Intimität. Enge Wohnverhältnisse, fehlende Kontakte, eingeschränkte Treffmöglichkeiten, das ständige Testen. Oftmals ist es viel. Viel, das nervt.

Der Text ist eine Zusammenfassung von Schüler*innen-Befragungen an einer HAK und einer MS in Wien.