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Grüne Schuhe, Sorgenpüppchen und ein Lächeln

Montagmorgen

Es ist zehn nach acht. Nach und nach trudeln die Schüler*innen der Deutschförderklasse ein. Mansoor schenkt mir ein Lächeln. „Wir haben noch grrrrrrrr gemacht in Klasse. Tschuldigung für spät“, erklärt er mir. Er legt den Kopf zurück und erzeugt ein weiteres Grrrrrrrr. Gurgeltest soll das heißen. Ich bin im Bilde. Grrrrrrrr finde ich großartig, weil es vielseitig interpretierbar ist. Ich beginne die Namen der Wochentage mit Magneten an die Tafel zu heften. Neun Paar Schüler*innenaugen beobachten mich. „Ich weiß. Is Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Samstag, Sonntag!“, ruft Dejan. Cool, denke ich mir, es ist doch einiges vom Vorjahr hängengeblieben. Und, weil ich nicht gleich reagiere, serviert mir Mansoor noch einmal die Aufzählung der Wochentage. Endlich sind alle wach und wollen sich einbringen. „D-i-e-n-s-t-a-g“, liest Remus und guckt mich ratlos an. Er ist gerade mal die dritte Woche in Wien. „Is Diiiiinstag“, belehrt ihn Sami. Remus zuckt mit den Schultern. Weder mit dem einen noch mit dem anderen Wort kann er etwas anfangen. Ibrahim zeigt auf, will auch lesen. Nicht nur einen Begriff, sondern alle. Die Motivation meiner Schüler*innen lässt mich kurz die Luft anhalten. Es macht so Spaß mit ihnen zu arbeiten.

Zwei neue Schüler*innen

Die Türe des Klassenraums geht auf. Vor mir stehen die Direktorin, ein Vater und drei Kinder. „Maria, darf ich dir deine neuen Schüler*innen vorstellen? Das sind Bashira, Abdullah und Aladin. Bashira und Abdullah bleiben da. Aladin ist zum Übersetzen mitgekommen. Im Gegensatz zu seinen Geschwistern ist er schon seit drei Jahren in Österreich. Er kann gut Deutsch, ist die perfekte Unterstützung“, erklärt sie mir. Wir besprechen die minimalen Basics, Schlusszeiten und Hausschuhe. Daran hat Aladin schon gedacht. Er trägt seinen Geschwistern auf, diese aus ihren sonst leeren Taschen zu holen. 

Diese Augen

Zwei Tage schaue ich nun schon in Bashiras große, dunkle Augen, die bis zum Rand mit Tränen gefüllt sind, aber keine Träne tropft auf ihre Wange. Starrer Blick, kein Lächeln, keine Angst, keine Neugier.

Es ist kalt in Österreich. Den ganzen Vormittag lang sitzt Bashira in ihre dicke Winterjacke gehüllt. Die Schultasche steht hinter ihr auf der Sitzfläche des Sessels. Es wirkt, als wäre Bashira dafür gerüstet jederzeit die Klasse zu verlassen. Und dann fällt mein Blick wieder auf ihre Augen. Ich lächle sie an. Keine Reaktion. Vielleicht sollte ich die Maske abnehmen? Ich habe gelernt zu erkennen, wenn Menschen lächeln, die eine Maske tragen, Bashira wahrscheinlich nicht.

Zum Glück hat mein Kollege, er spricht arabisch und deutsch, in dieser Woche viel Zeit für Bashira und Abdullah. Ich bin so unendlich dankbar für unsere zweisprachigen Kolleg*innen, und ein bisschen neidisch. Meine Einsprachigkeit verdamme ich in diesen Tagen in Dauerschleife. Nicht immer reichen Gestik und Mimik. Ich will diesem traurigen Mädchen vermitteln, dass sie und ihr Bruder hier an unserer Schule, in dieser Klasse herzlich willkommen sind.

Ich habe keine Ahnung, was dieses Mädchen erlebt hat. Syrien, Türkei und jetzt Wien. Vermutlich fragt sie sich, wie lange sie dieses Mal bleiben darf. Sie hat Dinge erlebt, die ich niemals erleben musste. Tatsächlich habe ich keine Idee, wie es ist, auf der Flucht vor Krieg zu sein. Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt in einem Flüchtlingslager zu leben. Ich kenne die Ungewissheit nicht, ob ich nun in diesem Land für immer bleiben darf oder nicht. Der Zwiespalt zwischen Sicherheit und Verlust der Heimat ist mir fremd. Das Einzige, was ich tatsächlich kann ist, ihr zu vermitteln, I feel you. Nur wie lege ich es an, dass sie mir meine Botschaft auch glaubt?

Ein Paar grüne Schuhe

In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch schlafe ich schlecht. Bashiras mit Tränen gefüllten Augen lassen mich nicht los. Ein Lächeln ist ihr noch immer nicht ausgekommen. Verdammt, was kann ich tun? Warum gibt es diese Geburtslotterie? Warum müssen Kinder Dinge erleben, die gar nicht für Kinderseelen bestimmt sind?

Am nächsten Morgen tausche ich mich mit Bashiras Klassenlehrerin aus. Ihr geht es ähnlich. Was kann sie Bashira Gutes tun, fragt sie mich. Wie kann sie ihr zeigen, dass sie ihr wohlgesonnen ist? „Mit Schokolade?“, fragt sie und sieht mich verzweifelt an. Ich zucke mit den Schultern. Ich glaube Schokolade kann nur wohlstandsverwöhnte Menschen zum Strahlen bringen. Lächerlich, denke ich mir. Wie konnte ich mich jemals über gute Schokolade freuen? Bin ich schon so abgestumpft?

Bashiras Blick ist immer noch der gleiche. Zugegeben, ein bisschen scheint sie aufgetaut zu sein. Sie hört ihrem Lehrer interessiert zu. Mein Lächeln erwidert sie noch immer nicht. Die Augen ihres Bruders scheinen mich zu prüfen. Wie ernst meint es diese alte Frau, die unzählige Male am Vormittag „Handy weg“ sagt, und das ziemlich laut. Er blickt sich in der Klasse um, sieht andere lachen. Erlebt Mansoor und Dejan, die so gar keine Berührungsängste mit ihren Lehrer*innen haben. Er öffnet sich, das spüre ich. Irgendwo ganz tief in meinem Herzen hoffe, ich dass auch Bashira begreift, dass diese Schule ein sicherer Ort sein könnte.

Als ich am Mittwoch von der Deutschförderklasse in die 2a wechsle, sehe ich Bashiras grüne Schuhe am Gang. Stimmt, sie hat noch keinen Spind. Nachmittags kaufe ich zwei Vorhängeschlösser. Mein Blick bleibt bei Schlüsselanhängern, die Sorgenpüppchen heißen, stehen. Es gibt sie in unterschiedlichen Größen, und sie sehen wie friedliche Monster aus. Bashira und Abdullah würden wahrscheinlich eines brauchen, dass die Größe einer Dreijährigen hat. Abdullah und ein Sorgenpüppchen? Nein, geht gar nicht, nicht für einen 14jährigen. Okay, ein Sorgenpüppchen und ein cooler Anhänger, auf dem Stürmer steht, das geht hoffentlich. Gesetzt dem Fall er mag Fußball. Müssen 14jährige Fußball mögen? Sollte ich mal meine Klischees hinterfragen? Was ist, wenn nicht? Dann steht der Begriff Stürmer symbolisch für seinen Neuanfang in Wien, beruhige ich mich selbst.

Sorgenpüppchen und ein Lächeln

Donnerstag in der Früh deute ich Bashira, dass sie mit mir mitkommen soll. Wieder guckt sie mich mit ihren großen, schwarzen Augen an. Ich murmle „Keine Angst! Und alles gut!“, wissentlich, dass sie mit diesen Worten nichts anfangen kann. Im Spindraum ist zum Glück Elma, ein Mädchen der dritten Klasse, die mir den Schlüsselring aufmacht. Ein Ding, an dem ich immer scheitere. Ich befestige das Sorgenpüppchen am Schlüssel, zeige Bashira, dass sie ihren Mantel und ihre Straßenschuhe hineingeben kann. Zeige ihr, wie das Schloss auf und zu geht. Werde kurz von massiven Zweifeln befallen, ob es okay ist, ihr die Jacke wegzunehmen, in die sich seit Montag verkrochen hat? Als wir in die Klasse zurückkommen, hält Abdullah den Schlüsselanhänger fest in der Hand. Zumindest diesbezüglich scheine ich einen Treffer gelandet zu haben. Bashira setzt sich neben ihn, schiebt ihre Maske aufs Kinn, und lächelt mich an. Auch sie gibt ihren Anhänger nicht aus Hand, knetet das Püppchen, dessen Bedeutung ich ihr dann erklären werde, wenn sie mich ein bisschen mehr versteht. Dann schreiben wir all ihre Sorgen auf kleine Zettelchen, stopfen sie dem Monster in den Bauch, und hoffen gemeinsam, dass diesmal alles gut wird. 

Zum Schluss

All jene Rassist*innen, die meinen, dass Familienzusammenführungen ein Kinderspiel wären, eine Leichtigkeit, etwas, das innerhalb kürzester Zeit möglich ist, sind an dieser Stelle zu unseren Elterngesprächen, die wir mit Videodolmetscher*innen führen, eingeladen. Erlebt Verzweiflung, Ratlosigkeit und Tränen von Erwachsenen, die seit mehr als sechs Jahren für ihre Familien kämpfen und urteilt dann ein zweites Mal. Folgt den Erzählungen dieser Menschen, die nur eines wollen. Ein Leben in Frieden und Sicherheit, zumindest für ihre Kinder.

Maria Lodjn ist Lehrerin an einer Wiener Mittelschule

Lesezeit: 3 Minuten

Damals

Meine Großeltern kommen aus dem damaligen Jugoslawien. In den 1960er Jahren kamen sie, wie viele andere, auf der Suche nach Arbeit und einem besseren Leben nach Österreich. Dort lernten sie sich kennen. Meine Mutter wurde dann schon in Wien geboren.

Obwohl beide in Wien geboren wurden, erzählt meine Mutter ganz anders über ihre Schulzeit als mein Vater. Auch ihr Bildungsweg verlief sehr anders, obwohl die beiden Leben sich schon sehr früh kreuzten. Mit 10 Jahren waren beide am vermeintlich selben Punkt angekommen: eine erste Klasse in einem Gymnasium in Wien.

Der Weg trennt sich

Nach der 2. Klasse wechselte meine Mutter allerdings in die Hauptschule, mit einem Nicht genügend in Mathematik. Ein einziges Nicht genügend. Mit ein bisschen Nachhilfe wäre es vielleicht nicht so weit gekommen, aber Nachhilfe war in ihrer Familie kein Thema. Dazu war einerseits das Geld nicht da, andererseits sah man darin auch keinen Sinn. Auch die Lehrer*innen waren keine Hilfe: „Tschuschnkinder haben hier nichts verloren.“ Meine Mutter beendete schließlich die Hauptschule und machte eine Lehre. Sie hat ihren Weg gefunden. Dass sie nicht am Gymnasium bleiben konnte, die Matura gemacht hat und vielleicht sogar studieren war, das ist bis heute ein wunder Punkt.

Heute

Dreißig Jahre später. Durch Zufälle bin ich Lehrerin geworden. Meine eigene Schullaufbahn verlief unspektakulär. Auch wenn ich selbst keinen Migrationshintergrund habe (beide Eltern in Österreich geboren) – die Geschichte meiner Mutter ist ein Teil von mir.

Seit einigen Jahren unterrichte ich nun an einer Mittelschule. Die Hauptschule, nur mit neuem Namen. Und immer wieder frage ich mich – erging es meiner Mutter genauso wie einigen meiner Schüler*innen?

Sabina*, 14 Jahre. Sabina war auch ein Jahr am Gymnasium, bevor sie mit einem Fünfer in Mathematik an die Mittelschule wechselte. Ich unterrichtete Sabina in meinem ersten Lehrjahr. Sie war damals in einer 3. Klasse. Sie war eine der besten Schüler*innen der Klasse, eigentlich wirkte sie die meiste Zeit unterfordert. Als ich sie nach ihren Erfahrungen am Gymnasium fragte, meinte sie, sie hatte nicht das Gefühl, das man sie dort haben wollte. Die Lehrer*innen hätten sie kaum unterstützt, und immer wieder Kommentare über ihren Migrationshintergrund gemacht. Ihre Texte wurden anders benotet. Dabei spricht Sabina perfektes Deutsch.

Marina*, 16 Jahre. Als ich Marina das erste Mal traf, war sie erst seit wenigen Wochen in Österreich. Sie saß in einer ersten Klasse Mittelschule, obwohl sie eigentlich schon 12 Jahre alt war und in ihrem Herkunftsland schon sechs Jahre Schulbildung hinter sich hatte. So kann sie sich zumindest vorerst auf das Deutschlernen konzentrieren, dachten wir uns. Nach einigen Wochen war klar: Marina lernt schnell. Zwei Jahre später war sie Klassenbeste. Und sie hatte einen Traum: Ärztin werden. Also entschieden wir gemeinsam mit ihr und ihrer Familie, dass ein Wechsel ins Gymnasium das beste für sie wäre. Am Ende ihres ersten Schuljahres im Gymnasium telefonierten wir. Sie erzählte davon, wie schwierig es war dort anzukommen. Die Deutschlehrerin fragte sie, warum sie denn überhaupt gewechselt hätte, wenn sie doch nicht perfekt Deutsch kann. Der Mathematiklehrer meinte, sie wäre selbst Schuld wenn sie Themen, die sie an der Mittelschule noch nicht gelernt hatte, nicht beherrschen würde. Sogar die Sportlehrerin fragte sie, ob sie denn an der Mittelschule nichts gelernt hätte. Ich wusste nicht, was ich Marina sagen sollte. Sie meinte, wenigstens die Mitschüler*innen hatten gesehen, wie sehr sie sich anstrengte und wie gut sie in kurzer Zeit Deutsch gelernt hatte.

Alen*, 10 Jahre. Alen ist der Sohn einer Verwandten mütterlicherseits. Er schloss die Volksschule mit einem ausgezeichneten Erfolg ab, nur Einser und ein paar Zweier. Ich fragte meine Verwandte, ob er nun ins Gymnasium gehen würde. Sie verneinte. Die Volksschullehrerin meinte, dass die Mittelschule der bessere Weg für ihn sei. Und sie weiß auch nicht, wie sie ihn im Gymnasium gut unterstützen kann. Also kommt er eben in die Mittelschule.

Man könnte sagen, diese Geschichten sind Einzelfälle. Wer einen tieferen Einblick in dieses System bekommen hat, der weiß: Das sind keine Einzelfälle. Das ist struktureller Rassismus. „Tschuschnkind“ sagt zwar niemand mehr, aber sonst hat sich seit dreißig Jahren kaum etwas verändert: wer Migrationshintergrund hat, dem werden in unserem Bildungssystem viele Steine in den Weg gelegt.

*Namen von der Redaktion geändert.

Die Autorin ist Lehrerin an einer Mittelschule in Wien.

Lesezeit: 3 Minuten

Jetzt ist sie also nicht mehr „neu“.  Vor 12 Jahren startete der Schulversuch „Neue Mittelschule“, mit der Idee, eine gemeinsame Schule für alle 10-14-Jährigen zu etablieren. Mit Schlagwörtern wie „Kompetenzorientierung“, „Teamteaching“, einem differenzierten Unterricht und kleineren Klassen sollte die Hauptschule der Vergangenheit angehören.

Jetzt, 12 Jahre später, ist auch die Neue Mittelschule nicht mehr neu. Und wir drehen wieder an ein paar Zahnrädern, hängen ein neues Schild am Eingang auf, wechseln die Briefköpfe, und machen weiter wie bisher. Oder?

Was sich ändert

Spätestens mit diesem Schuljahr (einige Testschulen gab es schon vor einem Jahr) werden alle Neue Mittelschulen auf das System Mittelschule umgestellt. Die wesentlichste Änderung ist die Einführung einer neuen Notenskala. Die Neue Mittelschule hatte ab der 7. Schulstufe schon ein recht verwirrendes Notensystem aus vertiefenden und grundlegenden Noten. Die Notenskala für Deutsch, Mathematik und Englisch war siebenteilig und basierte auf den erreichten Prozenten, z.B. bei einer Schularbeit. Wer weniger als 54% bei einer Schularbeit erreichte, bekam eine grundlegende Note. Grundsätzlich bekamen aber alle Schüler*innen dieselbe Schularbeit.

Mit der Einführung der Mittelschule wechseln wir von einer siebenteiligen zu einer anderen siebenteiligen Notenskala. Nein, eigentlich sind es zwei verschiedene Benotungsskalen. Schüler*innen ab der 6. Schulstufe werden spätestens nach den ersten beiden Schulwochen (wo wir oft noch fächerübergreifenden Projektunterricht machen und noch gar nicht mit dem „Regelunterricht“ begonnen haben) in zwei Leistungsgruppen eingeteilt: Standard AHS und Standard. Die beiden Gruppen können getrennt voneinander unterrichtet werden und bekommen verschiedene Schularbeiten. Damit man sich gar nicht mehr auskennt sind die beiden Benotungsskalen aber überlappend, so dass eigentlich wieder eine siebenteilige Skala entsteht. Der Unterschied ist, dass nun de facto neun verschiedene Noten vergeben werden (ein Standard AHS Fünfer wird nicht vergeben werden), während vorher sieben verschiedene Noten vergeben wurden. Schon verwirrt?

Was das mit den Schüler*innen macht

Zugegeben, als Lehrerin bin ich verwirrt und verärgert. Und das, obwohl ich erst seit ein paar Jahren unterrichte und das für mich die erste große Umstellung ist, ältere Kolleg*innen können ein Lied von Leistungsgruppen, Notenskalen und dergleichen singen. Aber gut, wir gehen eben so gut wie es geht mit den Änderungen um, auch wenn wir die Sinnhaftigkeit noch nicht entdeckt haben.

Die wirklich Betroffenen, das sind die Schüler*innen. Die 4. Klasse, in der ich hauptsächlich unterrichte, macht sich schon Gedanken über das nächste Jahr, die Zeit nach der Mittelschule. Viele machen sich Sorgen. Kann ich überhaupt in eine weiterführende Schule gehen? Reichen meine Noten? Der Name der Leistungsgruppe „Standard AHS“ suggeriert etwas. Wer gut ist, geht auf die AHS. Die AHS ist besser. Dass die Schüler*innen der Mittelschule in unserem Bildungssystem die Verlierer sind, das wissen sie sowieso. „Standard AHS“ wirkt wie eine Verhöhnung dieser Tatsache.

Die Mutter einer Schülerin ruft am Nachmittag, an dem wir den Schüler*innen das neue Notensystem erklärt haben, in der Schule an. Ihre Tochter ist zuhause weinend zusammengebrochen. Sie glaubt, sie kann niemals an eine weiterführende Schule, wenn sie jetzt nicht in die Standard AHS Gruppe eingeteilt wird. Das stimmt so natürlich nicht ganz. Aber Worte schaffen Realitäten.

Warum jetzt?

All das ist schon ärgerlich und frustrierend genug. Aber ich komme nicht umhin mir ständig dieselbe Frage zu stellen: Warum jetzt? Jetzt, wo eine Pandemie seit Monaten so viel Unsicherheit in die Schulen und Klassenräume bringt. Wo Schüler*innen sich von einem Tag auf den anderen an neue Lebensumstände anpassen mussten und müssen. Jetzt, wo es nochmal schwieriger geworden ist, eine Lehrstelle zu bekommen. Jetzt, wo so viele Eltern und Bekannte arbeitslos sind und den Schüler*innen ganz klar ist, dass dieses Schicksal wahrscheinlich auch einige von ihnen in ein paar Jahren betreffen wird. Warum müssen wir diese Umstellung jetzt machen? Warum müssen wir weiterhin ALLE Schularbeiten und Tests durchführen, sollen verpasste Inhalte des vergangenen Schuljahres aufholen und noch dazu eine neue Notenskala einführen, die niemandem etwas bringt außer zusätzlichem Stress? Wäre es nicht genau jetzt, in diesem Schuljahr, wichtig etwas Stress aus dem System herauszunehmen?

Das würde ich den Herrn Bildungsminister gerne fragen. Aber das Gefühl werde ich nicht los, was in den Mittelschulen passiert, das interessiert ihn gar nicht.

Die Autorin ist Lehrerin an einer Mittelschule in Wien.