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Wer heutzutage schon als Lehrer*in in der Klasse gestanden ist, weiß, dass es ganz anders ist als früher. Ich hätte mich als Schüler nie getraut, einem Lehrer oder einer Lehrerin eine Frage zum Privatleben zu stellen. Mich hat es also extrem überrascht, als schon in den ersten paar Tagen meine Schüler*innen von mir alles Mögliche wissen wollten, und vor allem: „Herr B., haben Sie eine Freundin?

Die Antwort auf diese Frage war auf der einen Seite ein eindeutiges „Nein“, auf der anderen Seite etwas komplexer. Denn die Frage, die danach immer gekommen ist – „Warum denn nicht?“ – wollte ich nicht ehrlich beantworten. Was würde passieren, dachte ich mir, wenn ich ihnen erzählen würde, dass ich schwul bin? Können sie selbst damit umgehen, was werden die anderen Kolleg*innen oder sogar ihre Eltern sagen? Ich fragte ein paar mir vertraute Kolleg*innen, was sie davon hielten – fast alle haben mir davon eindeutig abgeraten.

Aber Schüler*innen sind Schüler*innen und lassen bei dem Thema nie los. In meinem zweiten Jahr an der Schule bekam ich zwei kleinere Gruppen (zu je 14 Schüler*innen) der 4. Klassen, die ich jeden Donnerstag den ganzen Tag betreute und die ich sehr gut kennen lernen konnte. Die haben mich auch regelmäßig gefragt und da habe ich meine Entscheidung getroffen: Ich wollte es ihnen irgendwann erzählen.

Warum? Ich habe zurück an die eigene Schulzeit gedacht – da hatte ich in dem Alter noch keine schwulen Vorbilder. Obwohl ich in einem sehr liberalen Umfeld aufgewachsen bin, habe ich nicht wirklich gewusst, wie ein Schwuler ein „normales“ Leben führen könnte, da ich es selbst nie gesehen habe. Ich wollte meinen Schüler*innen zeigen, dass es doch auch in ihrem Umfeld solche Menschen gibt. Schließlich gibt es statistisch gesehen ein paar LGBTQ Schüler*innen in meinen Klassen, die vielleicht noch mit dem Thema kämpfen.

Also nach der Entscheidung kam nur noch die Frage des Wie und Wann. Da das für mich ein gewisses Risiko geborgen hat, wollte ich einen späten Zeitpunkt wählen – falls es nach hinten losgehen sollte, wären die Klassen nicht mehr länger dort. Gleichzeitig wollte ich genug Zeit lassen, damit die Schüler*innen noch Fragen stellen könnten, die ihnen vielleicht nicht sofort eingefallen wären. Da der Juni sowieso meistens mit Ausflügen und Sportwochen ausgebucht ist, entschied ich mich für die letzte Stunde im Mai. Als Bedingung nannte ich allerdings, dass die Frage nach meinem Beziehungsstatus bis dahin nicht gestellt wird – daran hielten sich die Schüler*innen auch brav.

Um die Schüler*innen dort abzuholen, wo sie waren, habe ich eine Geschichte aus meiner Schulzeit erzählt. Hierbei ging es um mein eigenes Coming Out, das durch meine Ex-Freundin erfolgt ist. Die Geschichte baute ich absichtlich so auf, dass die Tatsache meiner Sexualität die Pointe gebildet hat – damit wollte ich eine ehrliche, sofortige Reaktion bewirken.

Als ich in die Stunde ging, war ich ziemlich nervös. Die Schüler*innen hatten teilweise den Termin sogar in den eigenen Kalender eingetragen, es führte also für mich kein Weg vorbei. Ich war auf ziemlich alles vorbereitet – homophobe Beleidigungen hatte ich unter den Schüler*innen immer wieder gehört und ich wusste nicht, wie genau sie dazu stehen würden.

Auf die Reaktion, die kam, hätte ich mich aber nicht vorbereiten können. Eine Reaktion so voller Freude hatte ich noch nie erlebt. Alles von „Ich hab‘ es gewusst!“ über „Ich mag Sie jetzt viel mehr.“ bis „Haben Sie einen Freund? Kann ich Fotos sehen?“. Meine Bedenken und Vorurteile, sowie die meiner Kolleg*innen, wurden sofort widerlegt.

Dabei wurde für mich bewiesen, dass es sich auszahlt, den Schüler*innen mehr zuzutrauen, als man selbst glaubt. Der Tag bleibt für mich eine der schönsten Erinnerungen an meine Zeit als Lehrer.

Der Autor war bis 2018 Lehrer an einer NMS in Wien.