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Weißt du schon, was du nach der Schule machen willst? Eine Frage, die früher oder später allen Schüler*innen gestellt wird. Immerhin ist die Entscheidung, auf welche weiterführende Schule man gehen, welchen Lehrberuf man beginnen oder welchen Beruf man ausüben möchte, eine wichtige und wegweisende. Doch nicht allen Jugendlichen stehen die gleichen Möglichkeiten offen – oftmals ist es entscheidend, ob man in ein Gymnasium oder eine Mittelschule geht. In Letzterer ist es zudem ein Kriterium, ob man nach „Standard-AHS“ oder „Standard“ beurteilt wird. Ob man, wie es mir zu Ohren gekommen ist: ein AHS oder „doch nur ein Standard-Kind“ ist. 

Als ich damals noch die Unterstufe eines Gymnasiums besuchte, war klar, dass ich nach Abschluss der 4. Klasse die Schule wechseln möchte. Also ging ich mit meinen Eltern zu den verschiedenen Tagen der offenen Tür. HAK, HTL, HBLA – ich hatte die freie Wahl. Wenn ich denn schon eine konkrete Vorstellung meiner Interessen gehabt hätte, hätte ich freilich auch einen Lehrberuf ergreifen können. „Dafür bist du aber zu gescheit“, habe ich oft gesagt bekommen…

Mit meinen mittlerweile 22 Jahren weiß ich allerdings, dass es Jugendliche gibt, denen weit nicht so viele Türen offenstehen. Im wahrsten Sinne des Wortes. 

Aus der Motivation heraus, diesbezüglich etwas zu ändern und einen kleinen Beitrag zu leisten, indem ich ein paar Jugendliche auf ihrem schulischen und persönlichen Weg unterstütze, bin ich beim “Learning Circle” gelandet. Seit mittlerweile zwei Jahren darf ich im Rahmen des “Learning Circles” Leo* begleiten. Als Lernbegleiterin oder Lern-Coach, wie ich im Learning Circle genannt werde, treffe ich mich zwei Mal pro Woche in einer Videokonferenz mit Leo. Wir lernen zusammen, sprechen über die Schule und den Alltag und sind zu eingespielten Lern-Buddies geworden. Während der vier Semester, die ich Leo nun schon begleite, konnte ich beobachten, wie positiv er sich weiterentwickelt hat und seine Noten und sein Selbstmanagement sich verbessert haben. 

Am Ende dieses Semesters, bei einem Gespräch mit ihm und seiner Mutter, habe ich also die altbewährte Frage gestellt. Ob sie sich schon überlegt hätten, was Leo nach der Schule weitermachen möchte. Ganz selbstverständlich hat mir seine Mutter erklärt, dass diese Entscheidung etwas schwierig sei. Leo wüsste noch nicht, was ihn genau interessiert (wer weiß das auch schon mit 13 Jahren?) und weil er „nur ein Standard Kind“ ist, sind die Optionen für ihn begrenzt. Für das Arbeiten im Rahmen eines Lehrberufes wäre er noch viel zu unreif; die Schule und das Lernen mit Gleichaltrigen seien wichtig für ihn, meint die Mutter. HTL? HAK? HBLA? Mit einem „Befriedigend“ als Standard-Kind in den Pflichtgegenständen nicht oder kaum möglich. Zum Glück hätten sie eine Fachschule gefunden, in der er eine dreijährige Ausbildung machen kann. Dafür müssen seine Noten allerdings auch mindestens „Befriedigend“ sein. Möglicherweise gibt es auch sehr viele Anmeldungen für die Schule und nachdem als Aufnahmekriterium oft das Zeugnis herangezogen wird, sind gute oder sehr gute Noten wünschenswert.

Leos Mutter ist engagiert und ich bin mir sicher, dass er seinen Weg findet. Er ist sehr fleißig und mit etwas Unterstützung kann er einen guten Abschluss in der Mittelschule und den Aufnahmeprozess in die nächste Schule schaffen. Daran glaube ich.

Dennoch hat mich das Gespräch nachdenklich gemacht. „Nur Standard Kind“. Wie ist es für einen Jugendlichen, so etwas zu hören? Wie fühlt es sich an, wenn man zu „schlecht“ ist für die ganzen Schulen, die die anderen an den Tagen der offenen Tür besuchen? Bestärkend oder förderlich für den Selbstwert ganz bestimmt nicht.

Unser österreichisches Schulsystem ist sehr ausdifferenziert und bereits nach der Volksschule, mit 10 Jahren, werden die Kinder auf Schulen mit unterschiedlichen Leistungsniveaus aufgeteilt. Mit 14 Jahren kommt dann die nächste Entscheidung. Es herrscht also ständiger Notendruck mit dem Hintergrundwissen, dass das Zeugnis für die Aufnahme in weitere Schulen entscheidend und die zukünftigen Möglichkeiten von der schulischen Leistung geprägt sind. Dass Kinder und Jugendliche, die von Seiten ihres Umfeldes wenig schulische Unterstützung erfahren, unter dieser Ausdifferenzierung leiden, ist kein Geheimnis. Dass Nachhilfe, wie wir sie im klassischen Sinne kennen, für viele Familien unbezahlbar ist, ebenso wenig. Daraus folgend ist also auch klar, dass unser Schulsystem Bildungsungleichheiten weiter verschärft, anstatt ein miteinander und voneinander lernen zu fördern. 

Es ist wichtig, den Jugendlichen zu vermitteln, dass ihr Selbstwert nicht an den Differenzierungen unseres Bildungssystems oder der Schule, die sie besuchen, festgemacht werden darf. Man ist nicht schlauer als das Nachbarskind, nur weil man eine AHS besucht und die*der andere eine Mittelschule. Leo ist nicht dümmer als seine Mitschüler*innen, nur weil er ein Standard-Kind und die anderen AHS-Kinder sind. 

Dementsprechend sollten wir mit diesen Begrifflichkeiten sensibel umgehen und darüber nachdenken, wie solche Sätze bei den Kindern und Jugendlichen ankommen und was sie mit ihnen machen. Ich habe Leo bestärkt und ihm gesagt, dass er die Aufnahme auf die Fachschule bestimmt schafft, wenn er so weitermacht wie bisher. Immer wieder versuche ich, die positiven Entwicklungen und die Leistungsfortschritte hervorzuheben und ihn dazu zu ermuntern, auf sich selbst und seinen ganz persönlichen Weg stolz zu sein. Denn dafür gibt es genug Gründe.

* Name geändert

D

Autorin: Sarah Svoboda, Lern-Coach beim Learning-Circle von wirkt!