Wandertag
Dienstagmorgen, die Sonne blinzelt mir bereits beim Frühstück entgegen. Das Rot des Morgengrauens, es verheißt einen Tag, welcher zwischen Spätsommer und Frühherbst wandeln wird. Müsli, Kaffee und Orangensaft, eine probate Stärkung für meinen siebten Schultag. Aber heute ist kein gewöhnlicher Dienstag, der Wandertag steht an.
Bei der Fahrt in die Schule die Sonnenblende gekippt, das Wetter passt. Abholen bei der Klasse, anstellen und einweisen. Eine Ansammlung von rund 60 Erstklässler*innen blickt verheißungsvoll in Richtung Lehrer*innenteam. Kurzes Vorstellen meinerseits, da mir die Klassen nur zur Hälfte bekannt sind. Aufschauen von Seiten der Kids; ein neues Gesicht. Die Rucksäcke zum Teil größer als die Minis selbst. Ein buntes Gewirr aus unterschiedlichsten kleinen Menschen mit Wanderkleidung startet in den Tag. Auf los geht’s los.
Gemütlich losgegangen, die Gruppen bilden sich. Die Jungs vorne weg, kleine Rangeleien, aber alles im freundschaftlichen Bereich. Eine große Gruppe an ruhigen Buben und Mädchen bilden die Mitte der Wandergesellschaft. Oft sogar noch in den Zweierreihen. Vorbildlich. Ein Gang aus rund zehn Mädels trottet hinten nach. Ein Mäderl trägt sogar ihr Schminktascherl spazieren. Ich mache mit einer Kollegin das Schlusslicht. Nach und nach scharen sich die ersten Kinder um uns. Geschichten über den Sommer, den Urlaub und Freunden prasseln auf uns ein. Besonders die Ohren des Neuen werden beansprucht.
Aufgabe eins bedeutet, Distanz zu schaffen. Wie aus der Volksschule gewohnt, behalten auch in der NMS einige Kinder das DU bei. Ermahnen, freundliches Lächeln und den Satz in der Höflichkeitsform wiederholen, Lehrer eben. Punkt zwei hierbei ist, dass ich als Lehrer kein Ding zum Anfassen bin. Ich halte niemanden bei der Hand, kein Huckepack, kein nachziehen. Schwer aber doch wird dieser Fakt nach und nach begriffen.
Die Anstiege sind kurz, aber intensiv. Schnaufen, schnauben und jammern, es spielt alle Stückl’n. Die Distanz verschwindet wieder. „Trägst mich?“ „Also erstens: Können Sie mich tragen? Und zweitens, nein.“ Mit der Zeit wird das aber besser. Die lange Pause steht an. Die Kinder vertragen sich, haben Spaß. Ein paar sitzen bei uns Lehrer*innen. Es wird erzählt und erzählt und erzählt. Zuhören und geduldig sein. Weiter geht’s.
Schön langsam pendelt sich alles ein. Die Sie-Form setzt sich durch und das Berührungsverbot tritt tatsächlich in Kraft. Auch wenn man als Lehrer dazu geneigt ist, die lieben geplagten Kids doch mal ein Stück am Rücken mitzuschleifen; aber nein, da heißt es hart bleiben. Morgen in Deutsch geht das ja auch nicht.
Ende in Sicht, keine Verletzungen und keine Kinder abhandengekommen, war ein erfolgreicher Tag. Freundschaftliches Verabschieden. „Auf Wiedersehen Herr…“, ist von der Bushaltestelle zu vernehmen. Anscheinend haben sie’s kapiert. Auf der Nachhause-Fahrt denke ich über die einzelnen Kinder und das Erlebte nach. Das wird ein tolles Jahr.
Der Autor ist Lehrer an einer NMS in der Steiermark.
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